Potsdam-Mittelmark: Fellprobe vom Abendsegler
Seit über 20 Jahren werden auf dem Südwestkirchhof Fledermäuse beobachtet
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Stahnsdorf - Ein vielstimmiges Fiepen, Zirpen und Zwitschern durchbricht die Friedhofsruhe. Es ist das reinste Frühlingskonzert, das an diesem Morgen auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof zu hören ist: Es sind keine Singvögel, die solchen Lärm machen, sondern Dutzende Fledermäuse, die zur halbjährlichen Kontrolle und Beringung aus ihren künstlichen Winterhöhlen geholt werden.
Ein Team von zehn Biologen und ehrenamtlichen Helfern aus Brandenburg und Berlin ist auf dem zweitgrößten Friedhof Deutschland unterwegs, um knapp 30 Fledermauskästen zu inspizieren, die Tiere zu zählen, zu wiegen, zu messen, zu beringen und bereits beringte Fledermäuse zu protokollieren. Die Forscher erhoffen sich von dem Projekt Erkenntnisse über das Wanderverhalten der geschützten Kleinsäuger und deren Ansprüche an Winterquartiere. „Einerseits ist es wissenschaftliches Interesse, andererseits dient es dem Artenschutz“, erklärt Uwe Hoffmeister, Diplom-Biologe vom natura-Büro für zoologische und botanische Fachgutachten in Schulzendorf nahe Zeuthen. „Nur wenn man versteht, wie die Tiere leben und sich verhalten, kann man sie richtig schützen.“
Fünf Meter über dem Erdboden hängen die tonnenförmigen Winterhöhlen an den Baumstämmen, in denen über hundert Fledermäuse Platz finden können. Neben einigen der Kästen hängt zusätzlich ein Vogelhaus, damit sich keine Vögel in die Fledermausquartiere verirren. Claudia Kuthe klettert die Ausziehleiter empor, die das Team an eine Kiefer gelehnt hat, und sichert sich mit einem Seil. Hinter der Abdeckung schlummern gut 50 Fledermäuse: „Sie sind noch ganz lethargisch“, sagt Kuthe. „Man sollte aber schon Handschuhe tragen, um beim Herausnehmen nicht in den Finger gebissen zu werden.“
Das passiert den erfahrenen Fledermausexperten zwar selten, aber immerhin fühlen sich die Tiere gerade in ihrer Ruhe gestört und fangen sofort an zu fiepen und zu zwitschern. Es sind Große Abendsegler. Vorsichtig holt Kuthe ein Tier nach dem anderen aus dem Kasten und legt sie in einen Plastik-Gitter-Eimer, der zum späteren Transport in ein Gebäude der Friedhofsverwaltung dient, die die Forscher unterstützt.
Die Beobachtung läuft seit Beginn der Neunzigerjahre und wurde vom Kleinmachnower Biologen Christoph Kuthe initiiert. Er hatte an sich Vogelnistkästen auf dem Kirchhofsgelände angebracht und gesehen, wie Fledermäuse darin überwinterten. Daraus entwickelte sich das Projekt, das nach seinem Tod von seiner Frau Gertraud und seiner Tochter Claudia gemeinsam mit den Beringern Hoffmeister und Tobias Teige und vielen ehrenamtlichen Helfer fortgesetzt wurde. Einige Erkenntnisse konnten bereits gewonnen werden.
„Im Allgemeinen wird immer davon ausgegangen, dass Abendsegler komplett frostsichere Winterquartiere benötigen, um nicht zu erfrieren.“ Die Forscher fanden jedoch heraus, dass die Fledermäuse lange Frostzeiten kompensieren, indem sie in großen Gruppen zusammen schlafen. So würden die Tiere auch Kästen, die nicht frostsicher seien, mit ihrer Körperwärme genügend aufheizen, um nicht zu erfrieren, so Hoffmeister. „Das heißt, dass Abendsegler eigentlich gar keine frostsicheren Quartiere brauchen. Das gilt aber nicht für alle Fledermausarten.“
Über 150 Abendsegler wurden mittlerweile eingesammelt und zu einem der Verwaltungsgebäude auf dem Gelände gebracht. Die Fledermäuse sind inzwischen putzmunter und krabbeln in den Gitterbehältern aufgeregt umher. Die Forscher arbeiten routiniert: Einer holt die Fledermaus aus dem Behälter, einer untersucht und misst sie und legt sie zum Wiegen in ein Plastiksäckchen, einer schreibt die Daten in eine Tabelle. Hat ein Tier noch keine Identifikationsklammer, wird sie behutsam am Flügel angebracht. „Achtung, Achtung!“, ruft plötzlich einer der Helfer – einer der Abendsegler ist ihm unter den Tisch entwischt, doch das Tier kann schnell wieder eingefangen werden.
Mehrere Stunden dauert das Messen, Beringen und Kontrollieren, 196 Fledermäuse werden an diesem Tag untersucht. Unmarkierten Abendseglern wird zudem noch ein Stück vom Fell abgeschnitten: Die Proben werden später chemisch untersucht, anhand der Isotope lässt sich herausfinden, woher die Tiere ursprünglich stammen – Abendsegler sind bisweilen über Entfernungen von bis zu 1 800 Kilometern unterwegs, sagt Hoffmeister.
Ganz so wanderlustig sind die Stahnsdorfer Fledermäuse nicht: Viele „pendeln“ zwischen Potsdam und der Uckermark, sagt Hoffmeister: „Ein Teil der Fledermäuse sind im Sommer oben in der Uckermark und im Winter hier in Stahnsdorf.“ Eine umfassende Analyse der Wanderbewegungen wird noch etwas auf sich warten lassen: Ausgewertet werden die Daten des Stahnsdorfer Projekts laut Hoffmeister wohl erst in fünf bis sechs Jahren.
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