
© Michael Urban / ddp
Von Thomas Lähns: Flimmerstunde mit Konfliktpotenzial
Was ist traditionell am Blütenfest? Alte Filme zeigen: Schon immer wurde getanzt, gelacht und getrunken
Stand:
Werder (Havel) - So voll war das Scala-Kino schon lange nicht mehr: Dicht an dicht drängten sich die Werderaner Sonntagvormittag in den Sesseln. Wer keinen Platz abbekam, quetschte sich in den Gang oder versuchte, durch die voll besetzten Logen einen Blick auf die Leinwand zu erhaschen. Gezeigt wurde kein Blockbuster, sondern Dokumentarfilme über das Baumblütenfest: Historische Streifen aus den 20ern und Übungsfilme von Filmstudenten aus DDR-Zeiten. Mehr noch als der Hang zur Nostalgie lockte die Besucher eine seit dem vergangenem Jahr heftig diskutierte Frage: Was ist das Traditionelle am Blütenfest?
Denn dies zu bewahren haben sich hier verschiedene Seiten auf die Fahnen geschrieben. Die Initiative 2008, gegründet von lärmgeplagten Inselbewohnern, sieht die Tradition in den Obstgärten im Hohen Weg, im nachmittäglichen Flanieren mit der Familie, im idyllischen Miteinander. Andere jedoch, wie der Verein Werder 24, möchten das Blütenfest als Besuchermagneten bewahren. Und dazu würden Rummel, Bühnen und natürlich süßer Werderwein gehören, sagen sie. Während der Flimmerstunde ließ der „Aha-Effekt“ auch nicht lange auf sich warten: Die Filme lieferten die Erkenntnis, dass schon immer getanzt, gelacht und reichlich getrunken wurde. Doch während die heutigen Fernsehbilder von alkoholisierten Festbesuchern in Werder für Empörung sorgen, war das Publikum von den historischen Streifen äußerst amüsiert. Junge Leute, die ausgelassen feiern und wild tanzen, aber auch Raufereien und Männer, die in volltrunkenem Zustand kaum noch von der Straße aufstehen können, zeigte ein Film von 1926.
„Es war offensichtlich schon immer so“, sagte der Werderaner Hotelier Thomas Spieß vom Verein Werder 24 in der anschließenden Diskussionsrunde. Allerdings, gestand er zu, habe sich die Besucherzahl in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Heute sind es 500 000, die in der letzten Aprilwoche nach Werder pilgern. Deshalb stimme Werder 24 auch in einigen Punkten mit der Initiative 2008 überein, zum Beispiel was die Forderung nach mehr Toiletten oder einer erhöhten Polizeipräsenz in den Abendstunden angehe. Werders Bürgermeister Werner Große (CDU) unterstrich, dass filmische Kritik am Fest immer eine Frage der Kameraperspektive sei, denn in den Streifen aus der DDR-Zeit habe er nur einen einzigen Betrunkenen ausgemacht. Doch profitieren die Obstbauern als Urheber des Baumblütenfestes überhaupt noch davon, fragte Uta Klotz von der Initiative 2008? „Ein Großteil des Geldes fließt nach draußen“, antwortete Dieter Dörflinger, Chef des Glindower Gewerbevereins. Er sprach sich dafür aus, die Gäste auf die Plantagen entlang des Obstpanoramaweges zu locken und regionalen Produkten mehr Raum zu geben. Auch kulturelle Vielfalt würde er sich wünschen, zum Beispiel Kabarett.
Wie soll das künftige Baumblütenfest also aussehen? „Wir müssen für Ausgewogenheit sorgen“, so Bürgermeister Große. Zurzeit läuft die Ausschreibung für die Ausrichtung des Festes ab dem Jahre 2011. Die Vorgaben seien recht allgemein gehalten, denn schließlich müssten sich die Bewerber eigene Gedanken machen. Ein Zugeständnis machte Große aber schon: Die Gauklerbühne solle künftig nicht mehr auf der Insel stehen. Inselbewohnerin Klotz machte klar, dass sie sich ein anderes Besucherklientel für Werder wünscht: „Im Moment gilt für viele Gäste die Parole raufen und saufen.“ Das jedoch sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, sagte Werders SPD-Chefin Anja Spiegel, und das zu lösen könne nicht Aufgabe der Stadt sein.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: