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Blumenkind. Alizée Froment (rechts), ihr Pferd Sydney und Marita Schreiber, die auf ihrem Hof in Nudow einen Kurs mit der französischen Reiterin organisiert hat.

© Thomas Sawieracz

Potsdam-Mittelmark: Geführt mit leichter Hand

Alizée Froment ist Nationaltrainerin der Ponyreiter Frankreichs – und wird in der Szene gefeiert. Jetzt gab die Französin in Nudow ihren ersten Kurs in Deutschland

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Es ist ein heller, klirrend kalter Morgen in der Nuthe-Nieplitz-Niederung. In einer Reithalle steht eine grazile Frau mit Blume im Haar – das ist ihr Markenzeichen. Es ist Alizée Froment, eine französische Dressurreiterin. Sie verändert gerade etwas in Europas Pferdewelt. Hier in Nudow, einem Ortsteil von Nuthetal, gibt sie einen Reitkurs. Kaum tritt sie in die Mitte der Reitbahn, verbreitet sie eine Leichtigkeit, die alle strahlen lässt.

Pferde wie Menschen. „How lovely! Yes, that’s it!“, tönt es mit französischem Akzent durch die Reithalle in Nudow. Es ist der erste Kurs mit ihr in Deutschland, eine kleine Sensation. Denn Alizée Froment gilt in der Reiterwelt als Hoffnungsträgerin. Weil sie zur Spitze der Dressurreiter gehört und auch noch damit verblüfft, in Shows ihr Turnierpferd oben ohne zu reiten – meint: Das Pferd hat kein Leder um den Kopf, kein Metallgebiss im Maul.

Zur Hilfe hat sie nur einen um den Hals gelegten Riemen, der kein Pferd der Welt stoppen könnte. Zu sehen ist das zum ersten Mal 2014, als Alizée Froment ein Video auf Youtube stellt. Eine Frau, Alizée, und ein Pferd, Mistral, zeigen Piaffen, Passagen, die schwierigsten Übungen der Dressur. „Es ist ein hohes Risiko, die Trense abzunehmen. Du hast keine Notbremse. Er macht mit, weil er das möchte“, sagt sie. Das hatte die Reiterwelt noch nicht gesehen. Eine internationale Turnierreiterin, Nationaltrainerin der Ponyreiter Frankreichs, nimmt die Kandare ab und reitet auf dem nackten Pferd! Das Video wurde in aller Welt geteilt.

Warum es solche Wellen schlug, erklärt die derzeitige Situation des Reitsports. Der Vorwurf der Tierquälerei steht immer wieder im Raum. Bei den Dressurreitern sind Pferde mit blau angelaufenen Zungen aufgefallen. Im Distanzsport, bei den Weltreiterspielen, starb ein Pferd. Vergangene Woche wurde eine Reiterin auf einem Turnier in Dallgow wegen Tierquälerei angezeigt, weil sie die Zunge ihres Pferdes mit einer Schnur am Metallgebiss festgebunden haben soll.

Umstrittene Methoden wie die Rollkur, also das Herabziehen des Pferdekopfes mit den Zügeln in Richtung Brust. Doping. Dazu kommt: Die traditionellen Turniere in Europa werden stetig uninteressanter für Topreiter, weil Veranstalter im arabischen und asiatischen Raum mit gigantischen Gewinnsummen locken. Wie sollen Organisatoren die Menschen für Pferdesport begeistern, wenn es ständig solche Nachrichten gibt? Die Szene ist nervös. Und die Menschen an der Basis gieren nach positiven Vorbildern, die wieder zeigen: Reiten ist Harmonie, das Pferd ist ein Freund. Auch im Sport.

Genau zur rechten Zeit kommt da eine 27-jährige Französin daher und gibt der Reiterwelt, wonach sie sich so sehr sehnt. „Mistral ist mein Ein und Alles“, sagt Alizée Froment über ihr Pferd. Damit das Reiten mit dem Halsriemen funktioniert, hat sie ihn erst mit Gebiss und Zügeln ausgebildet. Doch je mehr das Vertrauen wuchs, desto mehr konnte sie auf Ausrüstung verzichten. Vier Tage die Woche ist sie in Frankreich daheim, dann verbringt sie viele Stunden mit ihm, geht spazieren, massiert ihn, und dann wird nur ein gutes halbes Stündchen geritten. Die anderen drei Tage reist sie durch die Welt und unterrichtet.

Moskau, Lausanne, Barcelona, Malmö, Chicago liegen auf ihrer Route. Und eben Nudow. Hier hat Marita Schreiber sich mit ihrem Hof Nudow einen Traum verwirklicht: einen Platz für Pferde zu schaffen, in dem es keinen Druck, keinen falschen Ehrgeiz und keine unfaire Behandlung gibt. Wohl aber eine sehr gute Ausbildung und faire Sportreiterei.

„Meine Vision ist, dass der Sport irgendwann ein anderes Gesicht hat. Es fühlt sich momentan nicht gut an, das mitzuerleben, zu krampfig, zu freudlos, zu zwanghaft.“ Als sie Alizée Froments Videos sah, wusste sie: Da macht jemand etwas, das zu meinem Konzept passt, und sie schickte ihr Nachricht um Nachricht, bis sie schließlich die Zusage hatte, dass diese Trainerin nach Nudow kommt.

Am ersten Kurstag in Nudow legt Alizée Froment bei allen Teilnehmern viel Wert auf die korrekte Balance und Längsbiegung des Pferdes. Am zweiten Tag sieht man bei allen Teilnehmern, wie sich die Pferde verbessert haben: Sie bewegen sich geschmeidiger und mit größeren Bewegungen. „Ich habe viele Übungen mitnehmen können, um mein Pferd lockerer zu bekommen“, sagt Doreen Kiekebusch.

Die Kursteilnehmerin arbeitet als mobile Reitlehrerin im Raum Berlin und Potsdam. „Normalerweise sieht man beim Reiten auf hohem Niveau auch viel Stress, Stichwort Doping, Rollkur, blaue Zungen, eben nicht nur positive Bilder“, sagt sie. „Ich finde es gut, wenn da jemand ist wie Alizée oder auch Ingrid Klimke oder Uta Gräf, die zwanglos auf hohem Niveau reiten.“

„Ich will nichts beweisen, ich sag nicht: Mein Weg ist der einzig richtige“, erklärt Alizée Froment in Nudow. Ihre Stimme ist leise, doch da ist ganz viel Präsenz. Man sieht ihrer aufrechten Haltung an, dass sie eine Tanzausbildung hat.

„Meine Reiterei ist einfach das Ergebnis meiner persönlichen Recherche, meine Suche“, sagt sie. Als Idealbild nennt sie den Zentaur: halb Pferd, halb Mensch. Nichts zu verstecken, aber auch nichts, was die restliche Welt der Sportreiterei provozieren will.

Alizée Froment reiste als Kind mit ihrer Mutter, einer Reitlehrerin und Journalistin, durch die Welt. Ein halbes Jahr Virgin Islands, ein halbes Jahr Indien. Auf Kinderzeichnungen hatten all ihre Pferde nach innen gebogene, spitze Ohren – so sehen nämlich Pferde der Rasse Marwari in Indien aus. Sie hat gelernt, Dinge intensiv zu tun, und über den Tellerrand zu gucken, ein Freigeist zu bleiben.

Vor ein paar Wochen war sie eingeladen in Niedersachsen, der recht konservativen Hochburg der Pferdezucht, in einer Show ihr Pferd nur mit dem Halsriemen zu reiten. Ein Ritterschlag. Mitte März wird sie auf der weltweit größten Pferdemesse, der Equitana in Essen, sein. Und danach dürfte sie wirklich jeder kennen, der sich für Pferde interessiert.

Jeannette Aretz

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