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DIE SPIELREGELN: Gentlemen-Sport ohne Pferde Vom Bauern-Spiel zum Adeligen-Sport

Crickektclub Werder freut sich auf sein neues Domizil / Sportplatz in Bliesendorf freigegeben

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Werder · Bliesendorf - Noch wirkt das Cricket etwas befremdlich auf die Werderaner. Bei einer Bürgerversammlung habe tatsächlich jemand gefragt, wo die Pferdeställe hinkommen sollen, lachte Yannis Kaufmann vom Havelländische Cricketclub Werder (HCC). Das Cricket soll hier im kommenden Jahr ein neues Zuhause bekommen. Im Werderaner Ortsteil Bliesendorf wird bis zum nächsten Sommer eine 30 000 Quadratmeter große Anlage entstehen, auf der sogar Länderspiele ausgetragen werden sollen (PNN berichteten). Der erst im April gegründete Havelländische Cricketclub Werder sowie der Nordostdeutsche Cricketverband stellten sich und ihr Vorhaben am Sonntag auf dem Sommerfest in Bliesendorf vor.

Hier stand aber erstmal noch der Fußball im Mittelpunkt. Mit über 30 000 Euro aus der Stadtkasse wurde das Spielfeld rekultiviert und ist nach einer Pause von knapp zwölf Monaten endlich wieder bespielbar. Aus dem geplanten Eröffnungsmatch zwischen der Werderaner Victoria und den Reinickendorfer Füchsen ist jedoch nichts geworden: Die Berliner hatten fünf Minuten vor Spielbeginn telefonisch abgesagt. Werders Bürgermeister Werner Große (CDU) vermutete, dass sie „Angst haben, eine Packung zu kriegen“. Die Freude über den neuen Rasen blieb jedoch ungetrübt. Bei über 600 aktiven Fußballern im gesamten Stadtgebiet könne man den Platz gut brauchen, sagte Stadtsportbund-Chef Klaus-Dieter Bartsch.

In Werder rotieren die Mannschaften, jedes Team spielt je nach Terminplan mal auf diesem, mal auf jenem Platz. 28 Mannschaften gibt es insgesamt, „da muss man variieren“, so Bartsch. Der Bliesendorfer Sportplatz hat Wettkampfmaße und für Ortsbürgermeisterin Anette Gottschalk (CDU) auch darüber hinaus seinen Reiz: „Wegen der Lage im Grünen kommen die Sportler gern her.“ Und die Anlage ist erweiterungsfähig: Bereits Ende der 90er hatte sich die Stadt Flächen auf der nördlichen Seite gesichert. Hier soll nun die Cricket-Anlage entstehen.

Die 750 000 Euro – von diesen Kosten geht der HCC Werder aus – sollen aus Sponsoren- und Spendengeldern kommen, so Yannis H.D. Kaufmann. Ein langjähriger Sponsor ist der Berliner Unternehmer Winfried Weber mit seiner Werbeagentur Just Big. „Der Sport ist sehr englisch und sehr würdig“, hob er hervor. So nippe das Publikum am Campagner-Glas und nicht am Bierbecher. Kaufmann ergänzte: Es gebe 42 Grundregeln, die aber im „Gentlemen-Agreement“ vor Spielbeginn auch verändert werden könnten. Die Spieler dürften nicht mit dem Schiedsrichter reden, sonst droht Platzverweis. „Und früher mussten sie sich so benehmen, dass die Damen am Spielfeldrand nicht erröten.“ Das gelte heute noch.

Der Verein warte nur noch auf eine Zusage aus dem Bauamt in Belzig, dann könne mit dem Bau von Spielfläche, Beregnungsanlage, Scorer-Turm und einem Zaun gegen die Wildschweine begonnen werden. Die geplante wäre dann die größte Anlage auf dem europäischen Festland. Da die Ansprüche hoch sind, wurden Bodenproben aus Bliesendorf nach England geschickt, auf dass dort die richtige Rasensorte zusammengestellt werde. Über den Bliesendorfer Boden käme aber ohnehin noch eine Schicht englischer Erde. 35 Tonnen sollen per Schiff geliefert werden. Und der „Green-Keeper“ (weit mehr als nur ein Platzwart) werde extra auf der Insel geschult. Tribünen werde es jedoch in Bliesendorf nicht geben. Die Zuschauer sollen auf Picknickdecken im Grünen das Spiel verfolgen.

Nun sollen auch die Blütenstädter an den Sport herangeführt werden, begonnen wird bei den jüngsten: Mit der Freien Schule am Zernsee wird eine Kooperationsvereinbarung geschlossen. „Für Kinder ist dieses Spiel ideal: es ist nicht aggressiv und sie lernen Respekt voreinander“, so die Frauenbeauftragte des Vereins, Eleonora A. Straach. An die anderen Werderaner Schulen sollen Cricket-Sets kostenlos ausgegeben werden und die Sportlehrer eventuell im Verein geschult werden.

Beim Cricket stehen sich die Teams (in der Regel je 11 Spieler) abwechselnd als Schlag- und als Feldmannschaft gegenüber. Nur erstere kann Punkte erzielen, hat dafür zwei Spieler auf dem Platz. Diese „Batsmen“ stehen jeweils an den Enden des knapp 14 Meter langen Pitches in der Mitte des ovalen Feldes. Der „Bowler“ (Werfer) der Feldmannschaft wirft den Ball auf die andere Seite des Pitches. Der „Striker“ des Gegenteams muss verhindern, dass der Ball dort den Boden berührt und versucht, ihn mit einem Schläger (Bat) möglichst weit wegzuschlagen. Während das Feldteam damit beschäftigt ist, den Ball zurück zum Pitch zu werfen, laufen die beiden Batsmen zum jeweils anderen Ende des Pitches, um Punkte zu sammeln. Erreicht der Ball den Pitch, bevor ein Batsman über die Gegenlinie gelaufen ist, scheidet er aus. Punkte gibt es auch, wenn der Ball besonders weit geschlagen wird.

Die Sportart entstand im mittelalterlichen England, wurde zuerst von Bauern gespielt und später von Adeligen und Kaufleuten entdeckt, die sie in alle Länder des Commonwealth brachten. Nach Deutschland kam Cricket im 19. Jahrhundert – zusammen mit dem Fußball. Englische Eisenbahningenieure spielten ersteres im Sommer, letzteres im Winter. Cricket ist nach dem Fußball die am meisten verbreitete Sportart – und wohl die einzige, bei der es eine offizielle Teepause gibt. lä

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