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Potsdam-Mittelmark: Güterfelde schrieb Geschichte

und wird endlich darüber erzählen /Reges Einwohner-Interesse an Aussstellung

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und wird endlich darüber erzählen /Reges Einwohner-Interesse an Aussstellung Von Kirsten Graulich Stahnsdorf. Nicht weit von Potsdam und Berlin liegt Güterfelde, wer auf der Schnellstraße nicht rechtzeitig bremst, ist schon vorbeigefahren. Dem Eiligen entgeht manches, auch wer im Dorf an Kirche und Schloss vorbeifährt, hat zunächst den Eindruck vom beschaulichen Dasein. Fast scheint es, als würde sich hier das Leben noch immer nach der Natur richten und die Leute mit den Hühnern aufstehen. Doch der Ort hat mehr zu bieten, denn die Gebäude rings um die Dorfkirche sind lauter steingewordene Geschichten, die nun erzählt werden sollen. Denn welcher Durchreisende ahnt schon, dass einst das Schloss gegenüber der Kirche dem jüdischen Bankier Gerson von Bleichöder (1822–1893) gehörte, dem Hofbankier der Hohenzollern und seinerzeit reichsten Mann Berlins. Bleichenröder beriet Bismarck und beschaffte das notwendige Geld für die Kriege zur deutschen Einigung (1866). Außerdem war er durch seine internationalen Verbindungen zum Hause Rothschild einer der bestinformierten Männer Deutschlands, weshalb er sich auch als „Hilfsarbeiter des auswärtigen Amtes" betrachtete. Ehrfürchtig, aber auch ein bisschen stolz hörten rund 50 Güterfelder am Donnerstag in der Alten Seeschule, wie tief die Zeitgeschichte auch in ihrem Ort verwurzelt ist. Der neugegründete Förderverein „Gütergotz – Kultur & Landschaft" informierte an diesem Abend über eine Ausstellung, die das kulturhistorische Erbe der Region darstellen will. Ab 4. Juli soll im Rahmen des Themenjahres 2004 „Landschaft und Gärten" von Kulturland Brandenburg e.V. die Geschichte von Schloss und Park anhand von Fotos, Gegenständen und persönlichen Erinnerungen erzählt werden (PNN berichteten). In drei Kapiteln sollen Architektur, die jeweiligen Schlossbesitzer und die Nutzungsgeschichte dargestellt werden, wie Projektleiter Dirk-Marko Hampel erläuterte. Ein weiterer Abschnitt widmet sich der Ortsgeschichte. Umfangreiches Material ist schon zusammen gekommen, auch Kontakte in die USA gibt es bereits, um die Geschichte des dortigen Bankhauses Bleichröder zu recherchieren. Ausstellungsort wird die Seeschule sein, für deren Renovierung die Gemeinde 25 000 Euro bereitstellt. Am Informationsabend überreichte eine Besucherin dem Projektteam drei originale Postkarten, auf denen das Schloss abgebildet ist. Auch persönliche Erinnerungen sind gefragt, wie die von Peter Ernst, der heute im Förderverein mitarbeitet, selbst in der Alten Schule das Abc lernte und später in einem Schulsaufsatz über das Schloss schrieb: „Es steht schon lange und ist oft umgebaut worden vor etwa 70 Jahren war der Besitzer der Kriegsminister Graf von Roon. Er hat die lange Scheune bauen lassen. Auf dem Dach der Scheune ist eine Windfahne mit einer Grafenkrone. Hoch über dem Haupteingang des Schlosses sieht man ein Wappen Jetzt gehört das Schloss der Stadt Berlin, die es an die SA-Wachstandarte ’Feldherrnhalle’ verpachtet hat". Graf Roon hatte auch ein schmiedeeisernes Tor mit den Initialen seines Namens errichten lassen. Nach 1945 verschwand das Tor, an das sich einige noch erinnern können. Vielleicht lässt es sich auftreiben, hoffen die Initiatoren der Ausstellung. Am vorgestrigen Abend wusste jedenfalls noch niemand etwas über den Verbleib des Tores, dafür gab es ein paar interessante Geschichten zu hören. Die vom Bischof Benjamin Ursinus, der einst Friedrich III. zum König salbte, erzählte Pfarrer Helmut Kulla. Ursinus erwarb einst das Rittergut Gütergotz, wie Güterfelde ursprünglich hieß, und war zum Leidwesen seiner Nachbarn den weltlichen Freuden sehr zugetan. 1696 ließ sich der Bischof ein „Praedium", ein Lusthaus am See bauen, was die Schar seiner Freunde im Ort nicht gerade vergrößert haben wird. Vielleicht war es Buße, dass er eine Mauer um den Friedhof errichten ließ, oder Einsicht, denn die Bauern beschwerten sich über die Hühner des Bischofs, die auf dem Friedhof rumliefen. Sogar vor Gericht beklagten sich die Gütergötzer, „weil die Hühner des Bischofs ihre Schafe verschrecken" würden. Aus der Friedhofsmauer verschwanden Jahre später einige Feldsteine, die nun im Fundament des Schlosses liegen. Und noch etwas wird den Ort demnächst beschäftigen: Warum ist der Turm des Schlosses höher als der Kirchturm? Der erste Erbauer, der Lotterieunternehmer Groth, wagte sich jedenfalls noch nicht so hoch hinaus. Erst bei einem späteren Ausbau wurde die einst runde Kuppel derart zugespitzt. Pfarrer Kulla interessiert besonders, wie die Dorfgemeinde seinerzeit darauf reagierte. Persönliche Erinnerungen sind deshalb sehr gefragt, aber auch tatkräftige Hilfe, um den Ausstellungsort herzurichten. Ab März sollen die Arbeiten für Sanitär, Fußboden und Malerarbeiten in der Seeschule beginnen. Bis zur Ausstellungseröffnung will der Förderverein dafür sorgen, dass die Uhr am Schulgebäude wieder in Gang gebracht wird und auch im Umfeld soll sich einiges verändern, damit die Güterfelder nicht länger gefragt werden: „Warum macht Ihr nicht mehr aus Eurem Ort?"

Kirsten Graulich

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