Von Thomas Lähns: „Hier haben die Häuser Augen“
Geisterjäger und Halbstarke suchen in Beelitz-Heilstätten den Kick. Der Eigentümer kämpft dagegen an
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Beelitz - Im Haus war alles leise, vom Band waren dann aber Stimmen zu hören: „Ich bin ewiger ... immer!“, brüllte es aus dem Diktiergerät. Selbst ein Geisterjäger bekommt da Beklemmungen. In der Nacht zuvor waren Ursula Hepp und ihre Freunde in Beelitz-Heilstätten unterwegs: Mit Kameras und Tontechnik bewaffnet, wollten sie paranormalen Phänomenen nachspüren – und wurden fündig. Türen knarrten, wo es windstill war. Stimmen wisperten durch die Flure. Und aus einem der Räume schlug ihnen eisige Luft entgegen – mitten im Sommer. Später hörten sie ein hämisches Kreischen auf dem Band: „Und, wie war die Kälte?“
Es sind unerhörte Begebenheiten, die das Team der „Austrian Paranomal Investigators“ (API) in dem kürzlich erschienenen Buch „Geisterjäger“ schildert. Burgen, ehemalige Gefängnisse, verlassene Gemäuer: Durch halb Europa sind die Detektive des Übersinnlichen gereist, um Gruselgeschichten auf den Grund zu gehen. Jeder Spuk habe eine Ursache. „Und in 85 Prozent der Fälle finden wir die“, sagt die Österreicherin Hepp. Dafür werden die Botschaften aus dem Jenseits interpretiert: Wenn ein Bild immer wieder von der Wand fällt, sollte man schauen, was darauf ist, rät sie.
Mehrmals war das Team der API in den Heilstätten, „aber mittlerweile ist dieser Ort für uns uninteressant.“ Hepp berichtet von Scharen junger Menschen, die hier nur den Kick suchten – statt ernsthaft Geistern nachzuspüren. Einer von ihnen hat den Tod gefunden: Der 25-jährige Mann war vor 14 Tagen aus einem der Klinikgebäude gestürzt und erlag in dieser Woche seinen Verletzungen. Bereits im Oktober 2009 war ein 21-Jähriger Wildenbrucher aus einem der Fenster gefallen. Er überlebte knapp.
Internetforen, Videos oder Berichte wie die der API locken junge Leute immer wieder in die Ruinen der früheren Lungenheilanstalt – nicht nur schwarz geschminkte „Gothics“, sondern inzwischen vor allem Halbstarke, die hier trinken, randalieren und sich zu Mutproben anstacheln. Gefahren lauern aber nicht in Gestalt von Geistern, sondern durch marode Decken, die Dunkelheit und die eigene Selbstüberschätzung. Zwar hat der Eigentümer das Gelände abgesperrt und ahndet unbefugtes Betreten, aber wer hinein will, schafft es.
„Es ist unbegreiflich, warum man dort nachts herumlaufen muss“, sagt Torsten Schmitz von der Terra Projektentwicklungsgesellschaft kopfschüttelnd. Vor zwei Jahren hat das Unternehmen den Großteil der Heilstätten übernommen, um sie zum Standort für Forschung, Tourismus und Kultur auszubauen. Der nächtliche Grusel-Tourismus fördert dieses Ansinnen nicht. „Wir sind so weit, dass wir in den Internetforen gezielt darauf hinweisen, dass es sich um Privatgelände handelt“, erklärt Schmitz. Nur wer ein begründetes Interesse nachweisen kann und erklärt, dass er sich auf eigene Gefahr herbegibt, bekommt eine Genehmigung. Alle anderen machen sich strafbar.
Ein begründetes Interesse haben zum Beispiel Fotografen, die den morbiden Charme der verlassenen Gebäude einfangen möchten. Vor Ort sieht man sie durch die Gänge streifen: Die Kamera gezückt, das Stativ geschultert. Einer ist gerade im ehemaligen Frauen-Sanatorium unterwegs. Die Glassplitter auf dem Boden knirschen bei jedem Schritt. Fast ehrfürchtig bewegt er sich durch den Gang und reckt den Kopf durch die offenen Türen. Er sei zum ersten Mal hier, berichtet er in süddeutschem Dialekt. Wie hat er von diesem Ort erfahren? „Durch das Internet.“
Es ist beeindruckend, was Zeit und Wetter hier haben entstehen lassen. Sträucher wachsen durch die Fliesen und verschmelzen mit der Bausubstanz, Putz ist eins geworden mit der Erde. Eine Schwalbe piepst lauthals vom Fensterbrett. An der Decke hat sie ihr Nest. Noch deutlicher sind die menschlichen Hinterlassenschaften: An den Wänden prangen Schmierereien, kaum ein Fenster hängt noch heil im Rahmen. Sogar an den Außenfassaden, in riskanter Höhe, stehen Schriftzüge.
Torsten Schmitz hat die Kaltschnäuzigkeit der Halbstarken kennengelernt: In der Nacht des jüngsten Fenstersturzes war er sofort nach Heilstätten gefahren, schockiert von der Nachricht, dass es einen Schwerverletzten gab. Die Polizei nahm die Personalien von insgesamt 30 Leuten auf. Und noch während ihr halbtoter Freund verladen wurde, quengelten einige, dass sie endlich nach Hause wollen. Kein Schock, kein Bedauern – nur Müdigkeit nach einer „geilen Party“. Gegen alle wurde Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet.
Draußen fegt ein älterer Mann im Arbeitsanzug den Asphalt. „Hier haben die Häuser Augen“, bemerkt er. Etwa doch Geister? Nein, er meint die unbefugten Eindringlinge, die ständig zu hören sind. Nachts, sagt er, ist es noch schlimmer. „Und am Wochenende stehen die Parkplätze voll – 50, 60 Leute sind dann hier.“ Gröhlend und mit Knüppeln bewaffnet würden sie immer wieder das Areal heimsuchen. „Die fahren erst zu Mc Donalds und dann kommen sie her“, berichtet der Mann und verweist auf herumliegende Burgertüten und Colabecher. Selbst Geistern dürfte da der Spaß am Spuk vergehen.
Ursula Hepp und ihr API-Team aus Österreich jedenfalls haben sich andere Forschungsobjekte gesucht. Sie glauben ohnehin nicht, dass Geister an bestimmte Orte gebunden sind: „Auch im Jenseits herrscht der freie Wille“, sagt Hepp. Eher würden verstorbene Seelen bestimmte Personen verfolgen, um ihnen etwas mitzuteilen. Die Botschaften müsse man zu verstehen versuchen. Dass sie auch sehr deutlich ausfallen können, hat eine ihrer Freundinnen beim letzten Heilstätten-Besuch erfahren: Vom Band krächzte es: „Claudia, geh da nicht herein.“ Vielleicht, weil der Raum im Obergeschoss einfach schon zu baufällig war.
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