KulTOUR: Himmel auf Erden am Rathausmarkt
Kleinmachnow - Vor genau 25 Jahren waren die Deutschen noch einmal hellwach – als die Mauer fiel. Nachdem die Turbulenzen vorbei waren, ging es eher darum, sich möglichst gemütlich einzurichten in sogenanntem neuen Land, das heute ganz schön alt aussieht.
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Kleinmachnow - Vor genau 25 Jahren waren die Deutschen noch einmal hellwach – als die Mauer fiel. Nachdem die Turbulenzen vorbei waren, ging es eher darum, sich möglichst gemütlich einzurichten in sogenanntem neuen Land, das heute ganz schön alt aussieht. Eine eindrucksvolle Fotoausstellung im Kleinmachnower Rathaus erinnert an diese wahrlich bewegten Wochen zwischen dem Herbst 1989 und Sommer 90.
Der Fokus liegt dabei auf dem nahen Berlin, und natürlich spielen „Kleinmachnow-Zehlendorf“ und „Kleinmachnow-Düppel“ dabei eine besondere Rolle, aus naheliegenden Gründen. Für Ältere ist das Staunen groß über das inzwischen dahingeeilte Vierteljahrhundert, Jüngere stehen davor und wundern sich eher, denn was damals trieseliges Leben war, der Hartbeton, Wachtürme und fremde Uniformen, kennen sie bestenfalls aus der Schule. Zu danken sind diese „Bruchstücke der Geschichte“ nicht etwa einem Hobby-Knipser, der hier und da einfach mal „draufhielt“, sondern dem Profi-Fotografen Andreas Springer, welcher einst als junger Mann durch einen Tunnel in den Westen floh. Da musste er wohl irgendwo „unten durch“, sah also den viel gelobten „Mauerfall“ natürlich mit ganz eigenen Augen.
Der Betrachter darf das im Foyer und im Vorraum zum Saal jetzt auch. Ein Begleittext von Axel Mueller erinnert dankenswerterweise daran, dass es auch anderswo Mauern gab und gibt, zum Beispiel als „Schutz vor Terroristen“ in Israel oder um die spanischen Enklaven in Marokko herum. Die stehen alle noch, die Berliner ist weg. Auch in diesem Text wird wiederholt, Schabowski hätte am Abend des 9. November 89 „die sofortige Reisefreiheit“ verkündet, aber dies stimmt selbst nach 25 Jahren nicht, er sagte nur, Ausreisewillige könnten ab sofort auch alle Grenzübergänge der DDR benutzen. So war das.
Die Ausstellung selbst zeigt den Zustand vor, während des Mauerfalls und auch ein bisschen danach. „Mauerspechte“ zwischen Kleinkind und Oma, das waren die, die mit Hammer und Meißel an ihr herumhackten. Andere boten die Steinchen und weitere DDR-Devotionalien wohlfeil. Breschen zwischen dem Beton als „provisorische“ Grenzübergänge, eine Wachuniform einsam davor. Grenzstreifen, durch den Streckmetallzaun fotografiert. Hunde an Leinen, der „Entenschnabel“ vor und nach der Öffnung, das war ein Stück DDR, unnütz weit ins Berlinische ragend, gefallene Wachtürme, entsorgte Mauerelemente. Das Brandenburger Tor am 22. Dezember 89 im Moment seiner Öffnung. Die Eastside Gallery. Auf die Mauer gesprayt „Die sieben Stufen der Erleuchtung“, davor ein Wartburg als Totalschrott.
Ein anderer Künstler warnt: „Wenn ich einen Mauerspecht an einem meiner Bildern erwische ... dann spechte ich an sein Kopf RESPECT ART!“ Ach, schöne deutsche Sprache! Vor allem sieht man Menschen von Hüben und Drüben in seliger Eintracht, als sei, so steht’s auf einem Plakat, nun der „Himmel auf Erden“ erreicht.
Unvorstellbar dies alles der Folgegeneration, dass es einmal war, dass es einmal so war. Insofern zeigt diese erstklassige und auch gut wahrgenommene Ausstellung den Abstand zwischen gestern und heute, nicht immer zugunsten der Neuzeit. Ist aus der viel beschworenen Brüderlichkeit nicht längst Solitüde geworden? Im Gästebuch steht: „Sehr gute Ausstellung, das darf nie vergessen werden“, und, mit jugendlichen Zügen im neuen Land: „Simon und der Rathausmarkt ist cool“ – ach, gute deutsche Sprache! Gerold Paul
Gerold Paul
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