Potsdam-Mittelmark: „Ich fühle mich nicht mehr so einsam“
Norbert Glante zur Atomkraft, Berliner Erklärung und seiner Heimat Werder
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Die Europäische Union ist 50 Jahre alt. Sie sind seit 13 Jahren Mitglied des Europäischen Parlaments. Was hat Sie am Wochenende bewegt?
Man muss bei sei so einem Jubiläum daran erinnern, dass wir seit 50 Jahren in Europa in Frieden zusammenleben. Der Lösungsansatz, beginnend mit der Wirtschaft zusammenzuwachsen und sich voneinander im positiven Sinne abhängig zu machen, ist ein Erfolgsmodell. In den Jahren, in denen ich dabei bin, hat uns die EU als strukturschwache Region sehr geholfen, da kann man durch jedes Dorf in der Mark fahren. Infrastrukturausbau, Stadt- und Dorferneuerungsprogramme aber auch viele Umschulungsmaßnahmen wären ohne die Beihilfen nicht möglich gewesen.
Sie sind im Europaausschuss für Industrie, Forschung und Energie tätig, zur Ernergiewende gibt es auf deutscher und europäischer Ebene recht divergierende Meinungen. Welche Rolle spielt das EU-Parlament bei anstehenden Entscheidungen?
Auf europäischer Ebene gibt es zahlreiche Initiativen zur Förderung regenerativer Energien. Die Union will in den nächsten Jahren z.B. zwölf Kohle-Demonstrationskraftwerke mit CO2-Abscheidung und Speicherung fördern. Die europäische Energiepolitik steht aber nur im Entwurf des Verfassungsvertrags, wir behelfen uns über Binnenmarkt- und Umweltgesetzgebung. Die Herausforderung ist ein Klimawandel, der durch Menschen verursacht oder zumindest beschleunigt wird. Im Rat im März zu beschließen, wir wollen die CO2-Emission 20 Prozent senken, Energieeffizienz und erneuerbare Energien um 20 Prozent steigern, war schon eine Leistung auch der Ratspräsidentin. Deutschland fällt das mit dem Energieeinspeisegesetz leichter, da wird sicher ein höheres CO2-Minderungsziel herauskommen.
Sie machten kürzlich mit einer Handvoll ihrer Parteifreunde auf sich aufmerksam, in dem Sie sich gegen ein schnelles Abschalten der deutschen Kernkraftwerke wendeten. Das ist nicht gerade Parteilinie?
Derzeit sind es über 50 Kraftwerksprojekte in Planung – alles Kohle. Wenn man das nicht will und Atomkraftwerke abschaltet, muss man auf Gas umsteigen. Länder wie Italien, die sehr abhängig vom Gas sind, werden sich bedanken. Wenn wir Versorgungssicherheit, Preisniveau und CO2-Senkung unter einen Hut bringen wollen, werden wir so schnell nicht aus der Kernkraft aussteigen können. Sicher ist das Thema emotional besetzt. Aber Argumente wie „Wir haben ja kein Endlager“ zählen für mich nicht, das brauchen wir so oder so. Richtig ist: Wenn im Kernkraftwerk etwas passiert, ist es gravierend. Nach wie vor werden aber EU-Gelder investiert, um die Kernkraft sicherer zu machen.
Biomeiler sollen irgendwann mal 30 Prozent des deutschen Energiebedarfs abdecken. Ist da schon genug in Bewegung?
Die Agrarbetriebe denken durchaus unternehmerisch und haben die Chancen erkannt. Neben Gas, Wärme und Elektroenergie kann ja so auch Treibstoff produziert werden. Aber zum Teil handelt es sich um Nahrungsmittel, die hier verarbeitet werden. Das Beispiel der Preiskurve für Tortillas in Mexiko, weil der Mais in den USA für Biosprit gebraucht wird, ist schon eine Warnung. Da sind wir ganz schnell beim Palmöl in Indonesien. Dann wird dann in Indonesien Regenwald gerodet, damit in Deutschland die Klimaziele erreicht werden. Man muss mit Augenmaß schauen, was Richtungsentscheidungen auf EU-Ebene bewirken können. Das dauert seine Zeit.
Die Mittel, die mit dem EU-Haushalt verteilt werden, sind in den vergangenen Jahren exorbitant gewachsen – auf einen Umfang von 140 Milliarden Euro. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Meldungen, dass die Mittel schlecht verwaltet werden. Der EU-Rechnungshof verweigert seit zwölf Jahren seine Genehmigung für die Budgets. Agrarsubventionen sollen 2005 zu 40 Prozent rechtswidrig vergeben worden sein. Was kann man dagegen tun?
Um die Relationen klarzumachen: Aus 15 sind 27 Mitgliedstsaaten geworden, deshalb ist der Haushalt um 40 Milliarden gewachsen. Bei 100 Milliarden waren wir in der Größenordung von Nordrhein-Westfalen. Es ist eine Riesensumme, aber so riesig auch nicht. Wenn größere Gelder bewegt werden, gibt es Spielregeln, die in den Mitgliedsstaaten kontrolliert werden müssen, da können Fehler auftreten. Die ständigen Mängel des Rechnungshofes haben allerdings auch mit der Auffassung zu tun, was geht und was nicht. Da gibt es prozedurale Differenzen zwischen Rechnungshof und Parlament. Der Rechnungsprüfungs- und Haushaltsausschuss des Parlaments decken ja selbst Mängel auf und reagieren. Das passiert nicht hinter verschlossenen Türen, die Sitzungen sind öffentlich.
Was wünschen Sie sich von Frau Merkel im Jahr der EU-Ratspräsidentschaft?
Ich wünsche ihr viel Glück, einen Fahrplan für die EU-Verfassung in Gang zu kriegen. Die Mitgliedsländer, auch die weniger motivierten, sollten darauf einschworen werden, dass wir vor der Europawahl 2009 zu einem Verfassungsvertrag kommen. Es wäre wichtig für ein reibungsloses Funktionieren der Union. Wenn wir über 2009 hinaus mit den Nizza-Regeln weitermachen, kann uns der Laden um die Ohren fliegen. Wir können dann keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen, nicht immer mehr Kommissare haben, die Portfolios noch weiter aufteilen. Die beste Antwort auf die Globalisierung und die Ängste der Menschen davor ist eine funktionierende Union mit einer Verfassung.
Welche Rolle spielt die „Berliner Erklärung“ in diesem Prozess?
Die deutsche Präsidentschaft hat mit dem Text die wichtigsten Punkte angesprochen und ihn vor allem kurz gehalten. Dahinter konnten sich alle 27 Staats- und Regierungschefs versammeln. Sie haben sich vor allem auf eine Verfassung – oder wie dies Dokument auch heißen möge – vor 2009 verpflichtet.
Wie erleben Sie in Ihrer Heimatstadt Werder (Havel) die EU?
Ich erlebe viele Projekte, die unterstützt werden. Ich erlebe aber auch Kommunalpolitiker, die am Biertisch genauso über das Moloch Europa herziehen, wie es allgemein verbreitet ist. Und auf der anderen Seite sich natürlich heftig über Projekte und Investitionsvorhaben freuen, die in Werder mit 60 bis 70 Prozent gefördert wurden. Sicher gibt es inzwischen auch viele Europabegeisterte an der Basis, ich fühle mich in Werder nicht mehr ganz so einsam. Wenn die Stimmung im Jahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und die Medienberichterstattung der vergangenen Wochen ein Stück weit anhält, wird man künftig sicher auch besser mit dem Thema Europa an die Menschen rankommen.
Das Interview führte Henry Klix
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