Potsdam-Mittelmark: In Groß Glienicke Kunst aus der Kiste
Vielseitiges Kunstprojekt im Atelierhaus Panzerhalle
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Vielseitiges Kunstprojekt im Atelierhaus Panzerhalle Von Götz J. Pfeiffer Kiste auf, Kunst raus. So ging es in den letzten Tagen ständig im Atelierhaus Panzerhalle in Groß Glienicke. Normaler Aufbaustress einer umfangreichen Ausstellung? Nicht nur. Denn die 58 Kisten von ebenso vielen Teilnehmern aus 19 Ländern sind wichtiger Bestandteil des Kunstprojektes „Blue Hall - Marktplatz Europa“. Alle Kisten haben die gleichen Maße, alle sind sie genormte Transportkartons für Bananen. Mit denen, so das Ausstellungskonzept, wird auf dem Markt gehandelt. Und dieser findet sichkünstlerisch gewandelt und in vielfältiger Gestalt in der gemäß den Europafarben zur „blue hall“ erklärten Panzerhalle. Gestern wurde die groß angelegte Ausstellung nach einjährigem Vorlauf mit Ausschreibung und Jury (PNN berichteten) eröffnet. Dabei geht es - noch so ein Europagedanke - ganz demokratisch zu. Jeder die gleiche Kiste, jedem ein annähernd gleicher Platz für das Exponat, das zusammen mit der Verpackung präsentiert wird. Aber wie in jeder Demokratie sind alle gleich, manche ein bisschen gleicher. Viele Boxen stehen auf dem Boden, manche hängt auf Augenhöhe, und eine ist ganz verschwunden. Nur noch im Umriss ist sie in der aus Farbpigmenten gestreuten „Schatteninstallation“ des in Berlin lebenden Türken Ercan Arslan zu sehen. Und sein Werk erlebte gleich echte Basisdemokratie: unbewusst wurde es mit Füßen getreten. Davor hat Denise Sheila Puri ihr Objekt „Ware Mensch“ durch Hängung frei im Raum geschützt. Die gebürtige Amerikanerin mit deutschem Pass schuf in ihrer Kiste ein Mini-Environment aus hintereinander geschichteten Fotos von vielerlei Menschen. Es zeugt eher positiv von menschlicher Vielfalt, wirkt nicht anklagend, wie der Titel es will. Aus wieder anderen Kisten entwickelte sich etwas in die Höhe. Auf Klötzen mit den Länderkennzeichen, jeder beteiligte Künstler ist vertreten, vollführt ein König in Lothars Serusets Holzskulptur „Europa“ einen Kopfstand. Man mache sich Gedanken, um ihn wieder auf die Füße zu stellen, scheint der Herrscher von hoher Warte zu fordern. Oder ist das nicht möglich, weil das immer weiter vereinigte Europa einem „Turm zu Babel“ gleicht, den die Niederländerin Dineke Oosting in ihrer gleichnamigen Arbeit zeigt. Durch verschiedene Tiere mit Länderfahnen auf den Körpern scheint sie eher die unvereinbaren Unterschiede, als die Gemeinsamkeiten zu betonen. Oder formuliert sie ironisch? Europa ein Zoo? Egalitär dagegen die Arbeit des Schweizers Rochus Lussi, dessen Kiste geschlossen blieb. Nur durch die Deckelöffnung sieht man eine Fülle scheinbar gleichartiger Herzen aus Holz. Der Titel „Handle with care“ erscheint wie ein der Marktwirtschaft angepasster kategorischer Imperativ. Das der zuweilen eklatant missachtet wird, zeigen der Belgier Joel Verwimp und die Deutsche Barbara Friess mit ihrer Gemeinschaftsarbeit, wortspielerisch „Trafficking“ betitelt. Unzweifelhaft der doppeldeutige „Grenzverkehr³ ist auf den pyramidal angeordneten Platten, grundiert in verschiedenen Grautönen, mit den umrisshaften Sex-Bildchen und einschlägigen Worten auf das künstlerische Korn genommen: Schuss, Treffer, Au. Traditionell in Technik und Motiv kann sich im postmodern bunt-überladenen Ambiente auch die lyrische, stille Arbeit „Flora Europaea Minora“ der Britin Charmian Pollok behaupten, auf Hand geschöpftem Papier gedruckte Radierungen europäischer Pflanzen von Arundo phragmitas bis Pteris aqulona. Auch wenn die Wienerin Katerina Schmidl daneben mit „ein schönes Stück Österreich“ ein Hinterteil aus Trinkhalmen zeigt, von schräg gegenüber „God bless America“ des Italieners Daniele Pario Perras die bekannte Melodie aus Karnevalströtchen an Campingblasebälgen tutet. In sich stimmig wirkt die Arbeit, in den Tagen um den 11. September ist sie geschmacklos. Was also tummelt sich auf diesem nur in kleinem Ausschnitt gezeigtem Marktplatz Europa? Leckereien wie die geliebten und stärkenden Bananen, auch manche unreife Früchtchen, manches überreife Obst. Aber es ist wie auf jedem Markt, auf dem man von Äpfeln über Birnen bis zu Zwetschgen wählen kann, nichts mit dem anderen verwechseln sollte. Über allem spannend sich umschließend der blau erleuchtete Hallenhimmel. Ausstellung auf, Besucher rein. „Blue Hall - Marktplatz Europa“ bis 5. Oktober in Atelierhaus Panzerhalle, geöffnet Fr-So 14-19 Uhr und nach Vereinbarung, Tel. 033201-44756.
Götz J. Pfeiffer
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