Potsdam-Mittelmark: Jenseits der Truckerromantik
Beim ersten Fernfahrerstammtisch an der Raststätte Michendorf gab es reichlich Gesprächsstoff
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Beim ersten Fernfahrerstammtisch an der Raststätte Michendorf gab es reichlich Gesprächsstoff Von Henry Klix Michendorf. Polizeirat Mathias Tänzer kann sich gut an den Einsatz erinnern: Als im Juni auf der A9 zwischen Brück und Beelitz ein Lkw in einen am Stauende stehenden Bus fuhr, gab es 39 Verletzte. Der Lkw-Fahrer starb. „Jeder, der vor Ort war, möchte so etwas nicht noch einmal erleben“, sagt der Leiter des Polizei-Schutzbereiches Brandenburg, damals als Einsatzleiter tätig. Doch so einfach ist das nicht: An den 1512 Autobahnunfällen im Schutzbereich waren im vorigen Jahr 534-mal Lkw beteiligt, 382-mal hatten sie Schuld am Zusammenstoß. Tänzer wird weiter zu Unfällen wie jenem eilen müssen, bei dem ein Lasterfahrer stundenlang aus seiner Führerkabine geschnitten werden musste, die durch unbefestigte Ladung zerquetscht wurde. Neben Kontrollen und Bußgeldern, neben gerade eingeführten, neuen Sicherheitsabstand-Messgeräten setzt die Polizei jetzt verstärkt auf Kommunikation zwischen den Beteiligten: Am Mittwochabend fand in der Michendorfer Raststätte (Süd) der 1. Fernfahrerstammtisch statt. Ein gutes Dutzend Brummi-Fahrer kamen, bei den nächsten Veranstaltungen, so hofft die Polizei, werden es mehr sein. Der Erfolg der Premiere lässt zumindest hoffen, dass sich die künftig jeden ersten Mittwoch im Monat (17 Uhr) veranstaltete Stammtisch schnell rumspricht. Denn Zündstoff gibt es reichlich. Ein ganzer Katalog von Unsitten wurde von den Gästen vorgetragen. Besonders auffällig: In vielen Situationen haben die Lkw-Fahrer den Eindruck, dass sie von Autofahrern missverstanden oder falsch wahrgenommen werden. Bremswirkungen und Reaktionsvermögen der Lastzüge werden verkannt oder falsch eingeschätzt, auch die völlig anderen Sichtverhältnisse von der Führerkabine scheinen für viele Autofahrer ein rotes Tuch. „Ich bin selbst ein recht dynamischer Autofahrer. Aber wenn ich mit dem Lkw auf die Autobahn will und von Rasern einfach nicht raufgelassen werde, kann ich nur noch den Kopf schütteln“, sagte ein Berliner Gast der Runde. Gefährliche Folgen könnte so was haben. Das Miteinander zwischen Lkw- und Autofahrern sollte stärker trainiert werden, stimmte ein Anderer zu. Warum also nicht ein Lkw-Training als Teil der Führerscheinausbildung, wurde gefragt? Oder Tempo 100 für die rechte Spur? Auch beim Thema Sicherheitsabstand scheinen für viele Berufskraftfahrer starke Nerven gefragt. Gerade hier scheinen sie sich aber auch untereinander nicht immer grün zu sein. Auf der Autobahn gilt bekanntlich die Faustregel: Die Hälfte der Geschwindigkeit in Metern. „Wenn sich ein Kollege vor meine Motorhaube setzt, brauche ich einen Kilometer, um den Abstand wieder herzustellen. Und dann fährt gleich der Nächste dazwischen“, so ein Fahrer mit rheinländischem Zungenschlag. Die Ruhe, hinter einem 10 Kilometer langsamer fahrenden Kollegen zu bleiben, gibt es offenbar nicht. Die Frage von Petra Mansfeld vom Brandenburgischen Autobahnamt, ob an manchen „Kriegsschauplätzen“ ein Überholverbot die Lage entspannen könnte, wurde jedenfalls vehement verneint. Auch flächendeckenden Geschwindigkeitsbegrenzungen stehen die Lenk-Profis eher skeptisch gegenüber. „Dann wird der Frust noch größer.“ Dass die Abstandsproblematik häufigste Unfallursache sei, wie die Stammtischgäste mutmaßten, konnte Polizeirat Tänzer für seine Autobahnen zwischen Brandenburg, Potsdam und Treuenbrietzen indes nicht bestätigen: Recht gleichmäßig scheinen im Jahr 2001 bei Unfällen mit Lkw-Beteiligung die Ursachen zwischen Reifenschäden (11 Prozent), Geschwindigkeit (10) und Abstand (10) verteilt, gefolgt von nicht befestigter Ladung (7), riskanten Überholmanövern (5), Alkohol und Verkehrsuntüchtigkeit (4) und technischen Mängeln (2). Für 51 Prozent macht die Statistik keine genauen Angaben. Wobei Tänzer anmerkte, dass die Tendenz gerade bei technischen Mängeln, Ladung und Geschwindigkeit in jüngster Zeit steigend ist. „Wir befinden uns in einem klassischen Tansitbereich und spüren hier natürlich auch die Frequenz ausländischer Fahrer“, räumte er auf Befragen ein. „Sie werden aber auch keinen deutschen Lkw auf der Autobahn finden, der nach den strengen Richtlinien nicht irgendeinen Mängel hat“, wurde die Aussage aus dem Publikum kommentiert. Steigende Benzinpreise auf der einen Seite, der harte Wettbewerb mit ausländischen Logistikunternehmern, zum Beispiel aus Polen, auf der anderen, würde den Kostendruck auf die Unternehmer enorm erhöhen. Das bekommen die Laster und ihre Fahrer zu spüren. Truckerromantik gibt es schon lange nicht mehr, der Tag mit vielen Tonnen im Schlepptau auf den Straßen sei ein knallharter Job. „Wir haben Druck von den Chefs und von der Polizei“, wurde die Misere beschrieben. Abgesehen von den vorgeschriebenen Lenkpausen fehle manchmal selbst für die Ladungssicherung die Zeit. Als Tänzer auf die Bußgeldkasse anspielte, die vielen Kraftfahrern von ihren Firmen augenzwinkernd mitgegeben wird, gab es von den Stammtischbesuchern zustimmendes Gelächter. Ein Kraftfahrer aus Leipzig schlug vor, man möge eine Transport-Preisbindung einführen, damit technische Mindeststandards für die Transportfirmen überhaupt umsetzbar werden. Tänzer sieht eine weitere Chance zur Verbesserung der Lage, indem man die Unternehmer über Halterhaftung stärker zur Kasse bittet. Als letzter meldete sich Rainer Meyer aus dem ADAC-Fahrtsicherheitszentrum Linthe mit einem Verbesserungsvorschlag zu Wort, der die Fahrer selbst betrifft. Viele von ihnen hätten nach der Simulierung von Extremsituationen in Linthe – von Aquaplaning bis rutschender Ladung – erstaunt den Kopf geschüttelt. Ein Tankwagenfahrer habe sogar nach dem Training seinen Job aufgegeben. „Der hat danach richtig Angst bekommen.“ Mancher würde eben gar nicht wissen, wie sich sein Fahrzeug in Belastungsmomenten verhält, wunderte sich Meyer. „Es ist wichtig, solche Situationen immer wieder durchzuspielen, damit man sich im Ernstfall richtig verhält“, warb er für ein paar Trainingstunden in Linthe, die durch die Berufsgenossenschaften gefördert würden. Denn eines steht für Meyer fest: Mit jedem Lkw-Unfall kommt man in die Zeitung. „Und das ist schlechte Werbung für den Unternehmer und schlecht für den Arbeitsplatz.“
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