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Von Thomas Lähns: Keine schrecklich nette Familie

Die Bachhubers waren die letzten Scharfrichter von Werder – ob sie tatsächlich gefoltert und getötet haben, ist unklar. Die Stadtgeschichte haben sie aber geprägt

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Werder (Havel) - Sie waren nicht gerade angesehene Bürger, denn zu ihrem Geschäft gehörten Folter und Tod. Über seine Vorfahren kann der Hennigsdorfer Stefan Thiel trotzdem ganz unbeschwert sprechen, schließlich ist sein Ur-Ur-Großvater selbst schon seit über hundert Jahren unter der Erde. Er war der letzte Scharfrichter von Werder. Dessen Sohn sei schon Lehrer gewesen, erzählt Stefan Thiel, und fortan schwieg die Familie lieber über ihre Herkunft. Er selbst ist bildender Künstler geworden. „Immerhin: meine Mutter ist Metzgerin“, lacht er. Sie war eine geborene Bachhuber – ein Name, der die Werderaner Stadtgeschichte im 19. Jahrhundert mitgeprägt hat.

1828 kam der gelernte Scharfrichter und Abdecker Andreas Bachhuber aus Süddeutschland nach Werder und pachtete die Scharfrichterei vor den Toren der Inselstadt. Für insgesamt 3100 Taler übernahm er ein für damalige Verhältnisse ansehnliches Gehöft mit einem gemauerten Haus und Ställen sowie einem Garten und zwei massiven Schornsteinen. Sogar einen Brunnen gab es hier. Das alles weiß die Heimathistorikerin Ilse Schumann zu berichten. Die promovierte Bibliothekarin hat jahrelang zu Scharfrichtern und Abdeckern überall in der Mark Brandenburg geforscht. Im Rahmen der beliebten Reihe „Werderaner Gespräche“ war sie jüngst beim Heimatverein zu Gast und berichtete über ihre Erkenntnisse zur Scharfrichterei in Werder. In dem historischen Gebäude befindet sich heute ein Restaurant. Nur noch eine schwertschwingende Figur aus Schmiedeeisen und der Schriftzug „Scharfrichterhaus“ am Giebel künden von der fast 400-jährigen Geschichte des Anwesens.

1610 ersuchte der Brandenburger Scharfrichter Hans Möller den Kurfürsten Johann Sigismund um die Erlaubnis, „beim Städtlein Werder“ eine „geringe Wohnung“ für seine Knechte errichten zu dürfen. Denn wenn die mit ihrem Schinderkarren raus nach Werder fuhren, kamen sie erst abends wieder in Brandenburg an – und standen oft vor verschlossenen Stadttoren.

Scharfrichter und Abdecker: Der eine tötete, der andere sammelte die Kadaver verendeter Tiere ein und verarbeitete diese weiter: Die Haut zu Leder, die Knochen zu Seife oder Leim, Haare und Fell zu Stricken. In der Mark wurden die Berufe oft in Personalunion ausgeübt. Aber selbst wenn jemand nur Abdecker war – und das hält Ilse Schumann in Werder für wahrscheinlich – nannte er sich doch lieber Scharfrichter, da der noch etwas höher auf der gesellschaftlichen Leiter stand. „Hinrichtungen muss es in Werder gegeben haben“, sagt die Forscherin, „denn der Galgenberg hieß sicher nicht umsonst so“. Es sei aber gut möglich, dass dafür Scharfrichter aus Brandenburg oder Belzig angefordert wurden, weil Werder keine eigene Gerichtsbarkeit besaß. Zwei Vollstreckungen von Todesurteilen in der Blütenstadt seien durch die Kirchenbücher belegt: Um 1700 wurde in Phöben ein „Gattenmörder“ enthauptet, um 1800 muss es hier eine Räderung gegeben haben – davon kündet der Bericht eines Scharfrichter-Lehrlings, der dies beobachtet hatte und in Genthin zu Protokoll gab. Beim Rädern wurden dem Delinquenten mit einem eisenbeschlagenen Wagenrad die Knochen gebrochen, bis ihm zum Schluss die Brust zerquetscht wurde – wenn die unmenschliche Folter nicht noch weiter ging und er auf das Rad gebunden wurde bis er starb oder damit auf dem Scheiterhaufen landete.

Ludwig Lühnsdorf, Hans Hartung, Samuel Reinknecht – die Besitzer der Werderaner Scharfrichterei wechselten alle paar Jahre, bis die Bachhubers nach Werder kamen. „Die öffentlichen Hinrichtungen hatten aber insgesamt abgenommen, wurden in Preußen 1851 schließlich verboten“, berichtet Ilse Schumann. Es ist also wahrscheinlich, dass die Bachhubers nur noch mit toten Tieren zu tun hatten – und mit aufgebrachten Nachbarn. Denn allmählich wurde die Insel zu klein für alle Werderaner und die Menschen ließen sich in der Vorstadt nieder. Die Geruchsbelästigung durch die Abdeckerei muss für sie enorm gewesen sein. Schon um 1795 hatte es 30 bewohnte Häuser vor der Insel gegeben. Als 1888 ein einflussreicher Medizinalrat mit dem Zug nach Werder kam, habe er sich über den „aashaften Geruch“ auf dem Weg zur Inselbrücke gewundert, erzählt Ilse Schumann. Zusammen mit Bürgermeister Franz Dümichen nahm er die Abdeckerei in Augenschein und untersagte prompt den weiteren Betrieb. Ein Jahr lang dauerte der Rechtsstreit, bis die Abdeckerei schließlich nach Kemnitz verlegt wurde und die Stadt den Betrieb übernahm. Denn Albert Bachhuber, letzter amtlicher Scharfrichter von Werder, ging im Alter von 60 Jahren in Rente. Das Haus am heutigen Plantagenplatz wurde sein Alterswohnsitz.

Stefan Thiel hatte mit 14 Jahren erstmals von der Geschichte seiner Familie erfahren, als ihm der sogenannte Arier-Nachweis seines Großvaters aus der Nazizeit in die Hände fiel. Sechs Generationen der Bachhubers waren da belegt, die meisten als Scharfrichter. Nach langem Bohren hätte ihm seine Mutter berichtet, was es damit auf sich hat. Fortan wollte er nach Werder, um sich auf Spurensuche zu begeben. Allerdings musste Thiel, der in Westberlin aufgewachsen war, bis zum Mauerfall warten. 1990 kam er in die Blütenstadt und brachte über die Gilde der Stadtführer mehr in Erfahrung. Heute können ihn die Geschichten um seine Vorfahren nicht mehr gruseln – aber sicher so manchen Werderaner.

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