KulTOUR: Kremlfrauen und Aviatricen
„Kino Varieté“ startet Dokureihe mit Filmen über Frauen im Dunstkreis der sowjetischen Staatsmacht
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Michendorf - Das erbarmungslose Spiel mit der Macht und den Frauen der mächtigen Männer hat einen langen Anfang und ein sehr langes Ende. Wie viele Staatschefs und Kanzler haben ihren Gattinnen jüngst erst den Laufpass gegeben! In den Zeiten der Revolutionen war das nicht anders, höchstens härter. Gingen die Frauen mit der Zeit, standen sie oft an der Spitze, wenn nicht, wurden oft tödliche Tragödien daraus.
Die Wilhelmshorster Dokumentaristen Regine Kühn und Eduard Schreiber haben nach 1990 fünf Filme über das Innenleben der Macht in der Sowjetunion und dem nachfolgenden Russland produziert, unter denen sich zwei direkt mit der Rolle der Frau an der Seite oder im Dunstkreis der Staatsmacht beschäftigten. Sie erwischten eine Zeit, wo die Perestroika auch geheime Archive öffnete, und so sieht man in „Kreml-Frauen“ (1994) und „Aviatricen“ (1999) unter anderem historisches Filmmaterial, das bis dahin keine Öffentlichkeit zu Gesicht bekam. Auftraggeber der Dokumentation waren deutsche TV-Sender.
Am Freitag waren die beiden Filmleute zu Gast im Wilhelmshorster „Kino Varieté“, um Jakob Damms neue Reihe „Dokumente“ stilvoll zu eröffnen. Der Kreis der Zuschauer war recht klein, eigentlich schade, denn solch ein exklusives Material sieht man nun wirklich nicht alle Tage. Die Produzenten berichteten von den Schwierigkeiten beim Drehen in Moskau, und davon, dass die Russen ihre Krisen und Probleme nach wie vor lieber unter den Teppich kehren.
Wie immer auch, diese Streifen haben zwar kein Problem mit Lenins Revolution, wohl aber mit Stalins Methoden. Und natürlich gehört zum Thema immer auch ein feministischer Zungenschlag dazu. In historischen Dokumenten, Echtzeit-Interviews und Straßenszenen aus dem Moskau der 90er-Jahre zeigt „Kreml-Frauen“ beide Seiten der Macht, mit Alexandra Kollontai eine kommunistische Gleichmacherin und Emanze allererster Güte, welche Liebe und Ehe verdammte und sogar die Kinder verstaatlichen wollte.
Auf der anderen Seite die Frauen von Budjonny, Molotow und Kalinin, die alle ein schweres Schicksal hatten, teils in Lager kamen oder sich selbst erschossen. Nicht einmal Stalins Frau wollte bei ihm im Kreml wohnen. Nun, wer die harte Sache der Revolution lobt, wird solche Dinge nicht tadeln können, Auswüchse waren’s nun wirklich nicht: Ob Männlein, ob Weiblein – mit der Macht ist es immer ein Drama, gestern wie heute! „Aviatricen“ zeigt das von einer ganz anderen Seite. Stalin war nicht einfach nur „ein Freund der Luftfahrt“, ihm ging es um ganz etwas anderes. Extra für ihn stellte man eine kleine Frauengruppe zusammen, um einen Höhenweltrekord im Fallschirmspringen aufzustellen. Nachdem das gelang, wurden die Ärmsten zu Propaganda-Puppen gemacht und mit schwersten Orden behangen, wie historische Filmaufnahmen und die Berichte der noch lebenden Heldinnen beweisen. In einem anderen Fall misslang ein Weitstrecken-Rekord unter weiblicher Leitung. Das Team war zwar in der Taiga abgestürzt und verschollen, die Macht aber log aller Welt einen gewaltigen Prestige-Erfolg zu Ehren Stalins vor. Bei der ersten Kosmonautin, Valentina Tereschkowa, soll es, wie man hörte, ähnlich gelaufen sein. Tragödien bei der Gleichmacherei? Die Aviatricen haben das Spiel der Männer doch mitgemacht! Konterkariert wurde das Archivmaterial mit historischen Zirkus- und Varieté-Aufnahmen, die in „Jakobs Kino“ hintergründig ahnen ließen ... Gerold Paul
Gerold Paul
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