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Potsdam-Mittelmark: Leben mit der Ungewissheit

Karin G. hat MS, eine noch immer unerforschte Krankheit. Sie sucht Betroffene für eine Selbsthilfegruppe

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Karin G. hat MS, eine noch immer unerforschte Krankheit. Sie sucht Betroffene für eine Selbsthilfegruppe Von Volker Eckert Stahnsdorf/Teltow - Eigentlich will Karin G. das Thema nicht so nah an sich heranlassen. „Man schiebt das immer von sich weg“, sagt die 41-Jährige. Sie sagt nicht ich, sondern man. Das klingt irgendwie unverbindlicher. Aber jetzt hat Karin G. sich doch entschlossen, über ihre Krankheit zu reden. Deshalb sucht sie Menschen aus der Region, die wie sie an Multipler Sklerose (MS) leiden. Was den Umgang mit der Krankheit nicht einfacher macht, ist die Ungewissheit. Für die moderne Medizin ist MS noch immer ein Mysterium. Soviel ist bekannt: MS ist eine Entzündung des Nervensystems, die häufig zu einer zunehmenden Schwächung der Beinmuskulatur führt. Auch Sehstörungen können auftreten, Taubheitsgefühle. Aber weder konnten die Forscher bisher herausfinden, wodurch die Krankheit verursacht wird, noch gibt es eine Heilungschance. Bei Karin G. wurde die Krankheit im Jahre 1996 entdeckt. Sie konnte das eine Bein nicht mehr richtig bewegen und ging zum Orthopäden. Der konnte ihr aber nicht helfen und schickte sie zu einer Neurologin, die sie in eine Röhre schob. Doch statt Karin G. die Diagnose mitzuteilen empfahl sie ihr, erstmal in Urlaub zu fahren und in einem halben Jahr wiederzukommen. Das war im Mai. Karin G. fügte sich. Sie hatte damals ihre Tochter dabei und geweint habe sie auch. Vielleicht hat die Ärztin deshalb nichts gesagt, vermutet sie heute. Der Urlaub, sagte sie, sei der schlimmste ihres Lebens gewesen. Sie musste immer an die Kinder denken, die damals 9 und 13 waren: Was, wenn ich es nicht mehr schaffe, sie großzuziehen? Im Oktober war sie wieder bei der Ärztin, inzwischen hatte sie schon an MS gedacht. Diesmal erfuhr sie sie Diagnose – wenn auch erst auf Nachfragen. Heute, acht Jahre später, führt Karin G. noch immer ein ziemlich normales Leben. Wie es ihren Beinen inzwischen geht, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer auf einer grünen Ledercouch und redet offen, aber vorsichtig darüber. Zwischendurch kommt die Tochter herein, sie muss los. Eine ganz normale Familie. MS kommt in Schüben. Von schlimmen ist Karin G. bislang verschont geblieben: „Mal kann ich besser laufen, mal schlechter. Rennen kann ich halt nicht“, sagt sie lakonisch. Die Treppe in den zweiten Stock schafft sie noch. Wenn die Kinder aus dem Haus seien, wollen sie und ihr Mann eine andere Wohnung suchen, vielleicht im Erdgeschoss. Im schlimmsten Fall, sagt sie, lande sie irgendwann im Rollstuhl. Doch so weit will sie nicht denken. Anfangs hat Karin G. mal in Bücher reingeguckt. Das Wesentliche war nicht schwer herauszufinden: Es gibt keine Heilung. „Damit war das für mich erledigt“, sagt sie. Das Bedürfnis, sich mit andern auszutauschen, ist aber da. Am liebsten wären ihr Leute, bei denen die Krankheit wie bei ihr nicht so weit ist. Aber willkommen sei natürlich jeder. 30 Stunden in der Woche arbeitet Karin G. bei einer Autovermietung in Wilmersdorf. Sie hätte nichts gegen eine volle Stelle, aber der Laden läuft nicht mehr so gut wie früher. Wer hat schon noch Geld, sich ein Auto zu mieten? Gefehlt habe sie wegen ihrer Krankheit erst ein paar Tage. Ihre Ärztin von damals ist heute im Ruhestand. Der neue Arzt empfiehlt ihr Spritzen, um die nächsten Schübe hinauszuzögern. Aber da macht Karin G. nicht mit. Sie hat Angst vor den Nebenwirkungen. Laut Studien könnte die Ernährung für die Entwicklung der Krankheit eine Rolle spielen. Mehr pflanzliche, weniger tierische Nahrung lautet danach die Faustregel. Karin G. hat ihre Ernährung aber nicht umgestellt. Sie erwähnt Linolsäure, worin die enthalten ist, weiß sie aber nicht. Eine Ärztin habe ihr gesagt, sich zu zwingen sei sinnlos. Wichtig sei, dass man zufrieden ist

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