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Potsdam-Mittelmark: „Lusitania, Beibot leek“

Eine Flaschenpost aus dem Schwielowsee gibt Historikern derzeit Rätsel auf

Von Enrico Bellin

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Schwielowsee - Die Sonne scheint auf den Bauch, der Wind säuselt um die Ohren und die Wellen des Schwielowsees plätschern um das Boot herum. Beim derzeitigen Sommerwetter erleben Freizeitkapitäne Erholung pur. Manchmal stoßen sie aber auch auf ein Mysterium. So wie Brigitta Grunenberg-Eggert und ihr Freund Johannes Schmidt.

Als die Berliner kürzlich mit ihrem Boot im Fercher Hafen anlegen wollten, sahen sie eine dunkelgrüne Flasche im Wasser schwimmen und wollten den vermeintlichen Müll herausholen. Doch in dem groß mit „Pfandflasche“ beschriebenen Gefäß steckte ein Zettel: „Nordsee, Lusitania, Beibot leek“ stand darauf. Eine Flaschenpost von der Lusitania, einem Kreutzfahrtriesen, der am 7. Mai 1915 nach einem Beschuss durch deutsche U-Boote vor der Küste Irlands unterging und 1 200 Menschen in den Tod riss?

„Wir wussten mit dem Namen des Schiffes erst einmal nichts anzufangen, aber ein Schwager hatte kürzlich eine Dokumentation über dieses große Unglück gesehen“, sagt Johannes Schmidt. Das weckte die Neugier der beiden Finder, das Geschichtsfieber packte sie vollends. Sie recherchierten im Internet zu dem Unglück und über eine Freundin nahmen sie Kontakt zum Potsdam Museum auf, dem sie ihr Fundstück anvertrauten. Schnell wurden Expertenrunden einberufen. „Dabei kam heraus: Die Flasche stammt wirklich aus der Zeit des Schiffsuntergangs“, sagt Wenke Nitz, Historikerin des Museums und Kuratorin der aktuellen Ausstellung „Potsdam im Ersten Weltkrieg“. Auch das Papier ist in etwa 100 Jahre alt, zudem zeigt die Schrift einen authentischen Übergang vom Sütterlin zur heutigen Schriftart.

Doch einige Ungereimtheiten gibt es bei der Flaschenpost: Warum sollte auf dem Schiff vor Irland eine deutsche Pfandflasche mit an Bord gewesen sein? Und wie sind die Chancen, dass sie vom Atlantik in die Nordsee und dann flussaufwärts über Elbe und Havel in den Schwielowsee kommt? „Es wäre ja möglich, dass die Flasche in Fischernetzen bis in den Schwielowsee gewandert ist“, meint Finder Johannes Schmidt. Doch dass die Botschaft wirklich von Ertrinkenden stammt, daran glaubt auch er nicht ernsthaft. Zwar gebe es zwei gesicherte Funde von Flaschenpost, die Schiffbrüchige von der Lusitania geschickt haben. Doch seien die Nachrichten immer auf Englisch verfasst worden.

„Wahrscheinlich ist, dass es sich um eine zeitgenössische Fälschung handelt“, meint Historikerin Nitz. So könnten Kinder den Untergang des Schiffes nachgespielt haben, schließlich war es damals ein großes Ereignis, ähnlich dem Untergang der Titanic. Derzeit wird untersucht, wo das Spiel stattgefunden haben könnte. Der Flaschenexperte Hans-Jürgen Krackher versucht herauszufinden, woher die Pfandflasche stammt. Da sie unüblicherweise bis auf ein großes „S“ keinen Hinweis darauf trägt, was in ihr war, konnte der Experte bisher jedoch keine Aussagen dazu treffen. Zudem ist der komplette Bügel des Verschlusses weggerostet.

Dass der Deckel trotzdem hielt und der Zettel noch lesbar ist, ist dem Innendruck der Flasche zu verdanken. Finderin Brigitta Grunenberg-Eggert musste vom Fercher Hafenmeister Werkzeug holen, bis sie den Zettel herausbekommen hat. Dabei ist zwar eine Ecke der Notiz abgerissen, jedoch standen auf ihr keine wichtigen Daten. Die Finderin hat Zweifel daran, ob die Botschaft wirklich von spielenden Kindern stammt. „Auf dem Zettel steht ,Keine Aussicht auf Rettung’, das spricht für eine sehr klare Artikulation.“ Zwar sehe die Schrift nach krakeliger Kinderschrift aus. Aber die Freizeitskipperin weiß, wie schwer es ist, auf einem schaukelnden Schiff schön zu schreiben.

Ein weiteres Detail spricht gegen die These der spielenden Kinder: Pfandflaschen waren zu Kriegszeiten rar und dementsprechend teuer. „Falls die Kinder wirklich eine Flasche zum Spielen von den Eltern geklaut haben, gab es dafür zu Hause mit Sicherheit großen Ärger“, sagt Wenke Nitz. Sie kann bisher zum Fund nur eines mit großer Wahrscheinlichkeit sagen: Die Flasche hat noch nie Salzwasser gesehen, sonst wäre das Glas mit der Zeit erblindet.

So wird das Rätsel um die Flaschenpost wohl nicht so schnell gelöst werden. Johannes Schmidt sucht nun nach Passagierlisten der Lusitania, womöglich waren ja wirklich ein paar deutsche Passagiere an Bord. Außerdem hoffen die Finder noch auf konkretere Aussagen des Experten zur Herkunft der Flasche. Den Zettel, der inzwischen zur besseren Konservierung luftdicht eingeschweißt ist, kann er nach Abschluss der Untersuchungen aus dem Potsdam Museum mit nach Hause nehmen. Historikerin Wenke Nitz sieht jedoch nur eine eher unwahrscheinliche Möglichkeit, wie man dem Geheimnis der Flaschenpost endgültig auf die Spur kommen kann: „Wenn jemand in Opas Tagebuch schaut und dort einen Eintrag findet, der das Nachspielen des Lusitania-Untergangs beschreibt.“

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