KulTOUR: Märker sind grob, Sachsen etwas feiner Buch und Ausstellung über Grenzerfahrungen
Schwielowsee - Heimat, was ist das eigentlich? Und wie heimattreu muss, kann oder will einer sein, den es in die Fremde verschlagen hat, von Brandenburg nach Sachsen beispielsweise, oder umgekehrt?
Stand:
Schwielowsee - Heimat, was ist das eigentlich? Und wie heimattreu muss, kann oder will einer sein, den es in die Fremde verschlagen hat, von Brandenburg nach Sachsen beispielsweise, oder umgekehrt? Dieser Frage sind zwei journalistische Teams im Fahrwasser des Kulturland-Themas „Preußen Sachsen Brandenburg – Nachbarschaften im Wandel“ nachgegangen. Dabei sind Tanja Kasischke und der Fotograf Amac Garbe auf „Beutesachsen“ gestoßen, auf gebürtige Brandenburger, die ihr Berufs- und Lebensglück im Sächsischen suchten. Barbara Tauber (Text) und Malou von Simson (Fotos) machten es genau umgekehrt, sie befragten Sachsen, die heute in Brandenburg leben und ab sofort als „Beutemärker“ geführt werden. Ihrer sind Legionen – des Flämings berühmter Schauspieler Frank Grünert etwa, oder Regisseur Manuel Schöbel, den sowieso jeder kennt.
Mit zehn dieser erbeuteten Zeitgenossen haben die beiden Teams Interviews über Heimat und Identität, über Grenzerfahrungen und Mentalitäten geführt. Vom Kulturland Brandenburg und der Landeszentrale für politische Bildung unterstützt, entstand so eine Wanderausstellung, die in in den Potsdamer Bahnhofspassagen zu sehen war und die im Oktober dann in Caputh zu sehen sein wird, bei der Schloss-Kastellanin und Beute- Märkerin Petra Reichelt. Außerdem ist ein Katalog in Arbeit, darin man Texte und Fotos wiederfinden kann, auch im Buchhandel erhältlich.
Nun hat dieses kleine Projekt selbst einen Butz: Während sich dieser oder jener Befragte mit den rein soziologisch-akademischen Fragestellungen ganz schön herumgequält hat, stellt sich heraus, dass sowohl die Historikerin Kasischke als auch die Soziologin und Journalistin Tauber selbst Beutegut sind, die eine stammt aus Freiburg und arbeitet in Berlin, die andere kommt aus Frankfurt am Main. Man kann mit den halberfundenen Begrifflichkeiten wie Identität oder „Nachbarschaft im demografischen Wandel“ also umgehen, die Globalisierungstendenz kostenfrei und ohne Kritik inklusive. Lässt man das mal beiseite, so ist trotzdem ein ganz hübsches Büchlein daraus geworden.
Manch einer der Probanden musste ja überhaupt einmal nachdenken, woher er stammt und welches Idiom er spricht, oder verdrängt. Oder dass die gefühlte Differenz zwischen Städtern und Ländlern wichtiger ist als dieses fragwürdige Kulturland-Konstrukt. Andererseits findet man auch dies: Brandenburger seien geradeheraus bis grob, Sachsen etwas feiner, Preußen achten darauf, was man sagt, Sachsen („dort zu finden, wo es Kaffee gibt“) mehr auf das Wie.
Natürlich sind dies Klischees, doch Wahrheiten auch, dem einen zum Staunen, dem anderen zum Wiedererkennen bestimmt. So ganz bierernst ist das sympathische Projekt ohnehin nicht gemeint. Es hat viel Pfiff, und wenig Pfeffer. Grenzerfahrungen? Lässt man all diese Bekenntnisse in ihrem persönlichen Umfeld, so haben sie auch Aussagekraft, vermengte man sie aber mit staats- und landespolitischen Begriffen, so kommt nichts Gescheites dabei heraus, Identität und Heimat sind und bleiben halt etwas Persönliches, den Brandenburger wie den Sachsen gibt es ohnehin nicht.
Besser als alle Wissenschaft hat es der Maler Karl Hagemeister gefunden, als er schrieb: „Die Landschaft lebt eigentlich nur durch die Stimmung. Sie ist Trägerin des seelischen Elements.“ Damit ist auch schon alles zum Thema Mentalität und Heimat gesagt, ganz beute- und barrierefrei. Gerold Paul
Tanja Kasischke, Barbara Tauber „Wir Beutesachsen, ihr Beutemärker“. Brandenburger und Sachsen erzählen von ihrem Leben beim Nachbarn. 50 Seiten, Tauber Verlag 2014.
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: