zum Hauptinhalt
Schweißtreibend. Die etwa Hundert Teilnehmer der „Tour de Natur“ starteten am Freitagmorgen in Beelitz Richtung Lubmin. Vor dem dortigen Atommüll-Zwischenlager soll die Abschlusskundgebung stattfinden.

© Thomas Lähns

Potsdam-Mittelmark: Mit dem Rad zu den Brennpunkten

Die „Tour de Natur“ hat schon einiges bewegt. In Mittelmark gab es aber wenig Anlass zum Mahnen

Stand:

Beelitz – Susanne Timm und ihre Mitstreiter haben schon so manchen Umweltfrevel mit dem Fahrrad angesteuert. Im südhessischen Biblis zum Beispiel, wo bis vor Kurzem Deutschlands ältestes Atomkraftwerk lief. Oder im niedersächsischen Gorleben, wo mittlerweile über hundert radioaktive Castor-Container gelagert werden. Und im Thüringer Wald, wo 1991 unzählige Bäume für den Bau der neuen Autobahn 71 gefällt wurden. Es sind recht eigenwillige Reiseziele für sommerliche Radtouren, aber den Umweltaktivisten geht es auch nicht um Erholung. „Wir wollen vor Ort Anstöße geben – und wir wollen Themen weitertragen“, sagt Susanne Timm.

Seit 22 Jahren bepacken Naturfreunde und Umweltschützer aus ganz Deutschland für zwei Wochen im Jahr ihr Fahrrad und radeln zu umwelt- oder verkehrspolitischen Brennpunkten. Hier legen sie den Finger in die Wunde und stärken örtlichen Initiativen den Rücken. Die Tour führt in diesem Jahr von Halle, wo im Saaletal eine neue Autobahn entsteht, bis nach Greifswald. Vor dem dortigen Atommüll-Zwischenlager Lubmin soll es eine Abschlusskundgebung geben. In dieser Woche radelten die rund hundert Teilnehmer durch Potsdam-Mittelmark. Hier gab es wenig Anlass zum Mahnen – im Gegenteil: Am Donnerstagabend erhielten die Etappenteilnehmer in Beelitz einen Einblick in die Nutzung erneuerbarer Energien zwischen Havelland und Hohem Fläming.

Die Beelitzer Kreistagsabgeordnete Elke Seidel (Grüne) hatte dazu für Donnerstagabend eine Podiumsdiskussion anberaumt, in der unter anderem das energieautarke Dorf Feldheim (Stadt Treuenbrietzen) vorgestellt wurde. Seit 2008 wird in dem 190-Einwohner-Ort Energie aus Wind, Sonne, Erdwärme und Biomasse gewonnen – für den Eigenverbrauch und für den Weiterverkauf. Seidels Botschaft: Es brauche noch viel mehr Feldheims, um die Energiewende zu packen.

Der Landkreis Potsdam-Mittelmark will sie bis 2022 eingeleitet haben – zumindest beim Stromverbrauch, der dann ausschließlich aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden soll. „Hier tut sich sehr viel“, schätzt auch Susanne Timm, die nicht verschweigt, dass das Ganze auch eine Kehrseite hat. „Man darf so etwas den Leuten nicht überstülpen“, sagte sie im Hinblick auf Proteste gegen den Bau von Windrädern in Potsdam-Mittelmark (siehe Beitrag unten).

Denn wie das „Überstülpen“ läuft, hat sie bereits vor zwanzig Jahren in Thüringen erfahren. Aus dem Kampf gegen die A 71 war die „Tour de Natur“ hervorgegangen. Erreicht habe man mit der rollenden Protestbewegung bereits einiges: So ist der Bau einer Autobahn durch das Fichtelgebirge – hier führte die Tour 2004 entlang – mittlerweile vom Tisch. Und auch die Planungen für ein Kohlekraftwerk im altmärkischen Arneburg sind gestoppt worden. Hier waren die Radler im vergangenen Jahr unterwegs. Doch es gehe auch nicht nur darum. „Wir wollen zeigen, dass das Fahrrad eine echte Alternative ist“, so die Berlinerin Christiane Degenhardt, die seit 1998 regelmäßig dabei ist. „Ohne Auto mobil“ laute ein griffiges Motto der Tour. Degenhardt betont zwar, dass die Teilnehmer aus jeder Alters- und Berufsgruppe stammen. Bei näherem Hinsehen drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass nicht wenige ihre politische Prägung in der Umweltbewegung der frühen 80er Jahre bekommen haben.

Entsprechend locker ist der Umgang: Übernachtet wird meist in Schulturnhallen wie diesmal am Beelitzer Platanenring. Dort wird gesungen, diskutiert und philosophiert. Die Versorgung ist Gemeinschaftsaufgabe, zu Essen gibt es nur vegane Kost – und Entscheidungen werden fast nur im Plenum gefällt. Es ist so etwas wie eine große Kommune, die dieser Tage wieder das Land bereist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })