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KulTOUR: Mit der Bahn ins Jrüne!

Wanderschau in Werders Stadtgalerie

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Werder (Havel) - Großstädter wollen immer alles haben, den Puls der Metropole und den Atem der Natur. Im aktuellen Sprachgebrauch läuft das unter „Metropole und Provinz“. Ein weites Feld, gerade groß genug für „Kulturland Brandenburg“, welches den Stoff zum Jahresthema machte. Hinaus ins Grüne also, aber wie? Mit der guten alten Bahn natürlich, noch immer die preiswerteste Variante des „Umlandverkehrs“. Das Berliner S-Bahn-Museum konzipierte dazu eine mobile Ausstellung, welche die Beziehung von Berlin zu seinem ach so provinziellen Hinterland aufbereitet.

Etwa dreißig Schautafeln fürs Allgemeine und Konkrete, elf davon zeigen fast akribisch die Orte, wohin es den großstadtmüden Metropolen seit hundertzwanzig Jahren treibt. Dies waren anfangs nicht Velten, Fürstenwalde, Erkner oder Werder, sondern die längst eingemeindete Hasenheide oder Spandau. Der Radius erweiterte sich, Reiseziele kamen hinzu, andere gingen verloren.

Nun macht die Wanderausstellung in Werder Station, wo damals wie heute der S-Bahn-Tarif endet. Übertriebene Sinnlichkeit kann man dem Konzept nicht nachsagen, dafür jede Menge Präzision. Wer will, kann sich an Zahlen berauschen, Beförderungszeiten, Streckenkilometer, Passagieraufkommen. Charlotte Schwalm-Dittfurth und Udo Dittfurth haben sich im Ehrenamt alle Mühe gemacht, ihr Thema umfänglich und vor allem unter dem Aspekt der „Kontinuität“ zu präsentieren. Freilich räumten sie der Exposition „Leselastigkeit“ ein. Darum hat wohl das örtliche Obstbaumuseum einige seiner Exponate spendiert.

Nach der Reichsgründung „explodierte“ Berlin, doch erst um 1890 kam der Wochenend-Verkehr in Fahrt. Grund war ein neuer bezahlbarer „Vorort-Tarif“. Das Schienennetz wurde ausgebaut, um 1900 etwa kam die „Heidekrautbahn“ nach Wandlitz dazu. Ab 1920 wurde (wovon Werder bis heute nichts hat) elektrifiziert, 1933 ging Wannsee ans Ausflugsnetz. Berlins Bahnhöfe gaben die Richtungen vor: der Görlitzer bedeutete „Spreewald“, der Stettiner „Norden“, es waren „viele Millionen“ unterwegs. Nach dem Krieg nutzten Schieber und Flüchtlinge die S-Bahn, um „rüber“ zu kommen oder sich, wie Werderaner, mit Obst und Gemüse ne schnelle Westmark zu machen.

Im Gegensatz zu Potsdam hat das Rathaus hier ja inzwischen etliche Züge zum Halten gebracht. Gleich am Eingang zum „Kunst-Geschoss“, rechter Hand, findet man die entscheidende Botschaft: Acht Thesen, was den Ausstellern bis heute wichtig ist: Die Bahn als Voraussetzung für allen Freizeitbetrieb, Wohlstand und Konsum als sein Garant. Punkt sieben bestätigt, was mancher Provinzler längst ahnte: Das weitgrünende Feld ringsum sei nicht nur „ Freizeitort für Berlin“, es habe eine „kulturelle Eigenständigkeit“! Wer hörte das nicht gerne. Allzeit gute Fahrt, und viel Erfolg am Haltepunkt Werder.

Bis 25. Oktober in der Stadtgalerie, Uferstraße 10. Do., Sa., So. von 13 bis 18 Uhr

Gerold Paul

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