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Potsdam-Mittelmark: Mit leiser Stimme

Schüler und Lehrer des Haeckel-Gymnasiums zeigten Peter-Weiss-Stück zum Auschwitz-Prozess

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Schüler und Lehrer des Haeckel-Gymnasiums zeigten Peter-Weiss-Stück zum Auschwitz-Prozess Von Elisabeth Richter Werder. Das Werderaner Kino war bis auf den letzten Platz besetzt, als Lehrer und Schüler des Ernst-Haeckel-Gymnasiums dort eine szenische Lesung aufführten: „Die Ermittlung“ von Peter Weiss. Im dem Bühnentext, in dem Weiss Protokolle des Auschwitz-Prozesses verarbeitete, verzichtete er bewusst auf die dramaturgischen Möglichkeiten des Theaters; es gibt kein Bühnenbild und keine Handlung, keine Bebilderung, die das Publikum von der Qual des Zuhörens erlösen würde. Silvia Marx, Lehrerin für Darstellendes Spiel am Haeckel-Gymnasium, hielt sich mit ihrer Inszenierung an diese Vorgabe. Das Stück konfrontiert mit den Ungeheuerlichkeiten von Auschwitz. Es sind die Details und die Sprache der Angeklagten, die unter die Haut gehen: „Es ging alles sehr schnell und effektiv“, sagt ein Angeklagter, „hundert Mann arbeiteten unaufhörlich in zwei Schichten.“. Ein anderer sagt: „Alles ging reibungslos.“ Daraus spricht ein gewisser professioneller Stolz, die Angeklagten haben ihre Sache gründlich erledigt. „Wo ich hingestellt werde, da mache ich meinen Dienst“, sagt einer und die anderen nicken. „Ich habe zugesehen, dass der Betrieb klappt.“ Auf der Bühne des Kinos saßen in Dreierreihen Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, die ihren Text lasen: achtzehn Angeklagte, neun Zeugen, und in der oberen Reihe Richter, Verteidiger und Staatsanwalt. Es ist gerade die emotionslose Sprache der Gerichtsverhandlung, die hier ihre Wucht entfaltet und den Zuhörer trifft. Da muss nicht besonders „schön“ oder „ausdrucksvoll“ gelesen werden, damit das Publikum erreicht wird, und so schadete es auch dieser Aufführung nicht, dass Laien den Text sprachen, auch wenn man sich an manchen Stellen Sprechpausen und eine deutlichere Aussprache gewünscht hätte. Der „Betrieb“ – das war die Selektion an der Rampe, bestialische Bestrafungen, medizinische Experimente, Verachtung, Folter, Grausamkeit, die Gaskammer, die Krematorien. Der Alltag im Lager – das war die eine Schüssel pro Häftling, die zugleich als Suppenteller, Waschschüssel und für die nächtliche Notdurft zu benutzen war; das waren Krankheiten, die es in Europa schon längst nicht mehr gab; das waren Ratten, die die Kranken anfraßen; das war die Lagerhierarchie vom Lagerführer über den Kapo zum Funktionshäftling, von schrankenloser Macht zur rechtlosen Nummer. Der Alltag war die ständige Gegenwart des Todes. Manche Zeugendarsteller lasen ihren Text mit leiser Stimme, wie um sich den schwer erträglichen Inhalt ihrer Aussage fern zu halten, und trafen damit wahrscheinlich die Haltung der historischen Zeugen. Jedes Mal wurde es sehr still in dem großen Saal mit den gut 300 Zuhörern. Ausgezeichnet brachte die Darstellerin des Verteidigers dessen unbelehrbare Nazigesinnung herüber, aggressiv und fast schrill kamen die Einwürfe, die das Ziel hatten, die Zeugen der Unglaubwürdigkeit zu überführen. Die Darsteller der Angeklagten gaben sich empört bis erstaunt über die Beschuldigungen, gereizt wiesen sie jede Verantwortung von sich: „Wir haben alle nur unsere Schuldigkeit getan. Wir sollten uns mit anderen Dingen befassen als mit Vorgängen, die längst als verjährt angesehen werden müssten“, sagt einer von ihnen und findet allgemeine Zustimmung. Und einer sagt es so: „Ich weiß überhaupt nicht, was man von mir will.“ Es ist zu befürchten, dass er die Wahrheit sprach, und auch diese doppelte Botschaft wurde in der Darstellung vermittelt. Der Applaus am Ende, den sich Lehrer und Schüler verdient hatten, befreite das Publikum ein wenig von der Beklemmung und war gewiss auch als Zustimmung zu diesem so wichtigen Stück zu deuten, das Lehrer und Schüler außerhalb des Unterrichtsgeschehens einstudiert hatten. Gefördert wurde die Veranstaltung von der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Erlös kam dem Gymnasium zugute.

Elisabeth Richter

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