Potsdam-Mittelmark: Nach Atze in die Heidelbeeren
Auf dem Klaistower Spargel- und Erlebnishof wurde gestern ein Haustiergarten mit bedrohten Rassen eröffnet
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Beelitz · Klaistow - Miese Stimmung gestern im Spargelhof Klaistow: Eine Skudde blökte angesäuert, als ihr Nachwuchs aus dem Gatter geholt wurde. Und das Lamm heulte seinerseits so herzzerreißend, wie es nur erst einige Wochen alte Wesen tun können. Agrarminister Dietmar Woidke (SPD) ließ sich erweichen – und machte es ganz kurz: Er taufte das schwarze Wollknäuel mit Honigmilch auf den Namen „Azoulas“. Als das Lämmchen zurück zu Mama durfte, hing der Haussegen dann wieder gerade.
Der Spargelhof Buschmann & Winkelmann ist wieder um eine Attraktion reicher: Im neuen, 1700 Quadratmeter großen Haustiergarten sind seit gestern vom Aussterben bedrohte Schweine und Schafe zu sehen. Neben Skudden finden hier Sattelschweine, Bentheimer Schweine und Rauhwollige Pommersche Landschafe ein schützendes Umfeld.
Nach der Heidelbeerselbstpflücke in den Haustiergarten – so oder ähnlich könnte ein Nachmittag in Klaistow derzeit aussehen. 15 Jahre ist der Hof jetzt alt, der von Gärtnermeister Jörg Buschmann und Kaufmann Ernst-August Winkelmann – beide aus Westfalen – gegründet wurde. An Saisonwochenenden werden die Gäste inzwischen in Tausenderschritten gezählt – Nummernschilder aus Berlin, Potsdam und aus 70 deutschen Landkreisen sind dann auszumachen.
Mit dem Anbau von 360 Hektar Spargel, inzwischen auch Erdbeeren, Heidelbeeren und Kürbissen, mit einem Bauernmarkt, einem Wildgehege, Kinderattraktionen und ländlichen Festen finden in Klaistow inzwischen 70 Menschen eine Arbeit. Per Abeitszeitkonten kommen sie über den Winter, in der Erntezeit kämen dann 150 deutsche Saisonkräfte und rund 600 ausländische Erntehelfer dazu, sagt Mitarbeiter Carsten Wunderlich.
Der Fresdorfer ist Agraringenieur und Mitarbeiter der Geschäftsführung, seine Frau Ulrike Wunderlich hat den Haustiergarten angelegt. Sie hatte vor sieben Jahren ihre Diplomarbeit zu bedrohten Nutztieren in Brandenburg geschrieben, ist Autorin einer Broschüre des Agrarministeriums zu diesem Thema und züchtet auf dem kleinen Fresdorfer Hof auch selbst die selten gewordenen Sattelschweine und Pommernenten.
Seit den 60er Jahren seien alte Rassen mit der aufkommenden Massentierhaltung zurückgedrängt worden. „Es war der Versuch, magere Schweine mit großen Schinken und großen Koteletts zu züchten, die sich leicht weiterverarbeiten ließen.“ Zehn Prozent weniger Fett hatten die neuen Schweine – ob sie den „Alten“ geschmacklich überlegen sind, ist inzwischen umstritten. „Heute weiß man, dass zumindest das intramuskuläre Fett auch Geschmacksträger ist.“
Ein zweiter Umstand macht die alten Rassen interessant: Sie sind widerstandsfähiger, anspruchsloser, eignen sich für Freilandhaltung auf Biohöfen und Landschaftspflege und sind wohl selbst für den Klimawandel gewappnet. Auch deshalb ist das Agrarministerium an ihrem Erhalt interessiert. Über das Kulturlandschaftsprogramm des Landes werden Züchter bedrohter Rassen finanziell gefördert.
Tiere wie das Weideschwein sind bereits verloren, im Berliner Museumsdorf Düppel wurde versucht, es „zurückzuzüchten“. Das Ergebnis kann in Klaistow begutachtet werden, wie auch die arg bedrohten Wollschweine und Bunten Bentheimer Schweine – Wunderlich hat vor einigen Jahren nur noch 34 Tiere dieser beiden Arten in Brandenburg gezählt. Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) führt nach eigenen Angaben 94 Rassen in Deutschland auf einer „Roten Liste“.
Auch die Skudde taucht darauf auf. In seinem Ursprungsland Litauen gilt das bis zu 60 Zentimer große Schaf als ausgestorben. Deshalb übrigens der littauische Name „Azoulas“ für den Klaistower Skudden-Nachwuchs. Auf deutsch bedeutet das Eiche, auf dass der Haustiergarten tiefe Wurzeln schlage, wie Agrarminister Woidke aufklärte. Für die Tierpfleger war es vielleicht ein bisschen zu viel des Guten: Aus „Azoulas“ wurde gestern ziemlich fix „Atze“. Der Kosename wird ihn vielleicht eher zum Nachfolger für den heranwachsenden Eisbären „Knut“ machen, wie es sich Woidke wünschte. Atzes Mama bekam auch noch zu tun: Sie leckte ihm nach der Taufe die Honigmilch vom Kopf. Die Stimmung war bestens.
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