
© Thilo Rückeis
Potsdam-Mittelmark: „Neue Form der Diskriminierung“
Elternvertreter der Förderschule Werder warnt vor Gleichmacherei bei Inklusion / Schulrettung angestrebt
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Werder (Havel) - Es war Integration, wie sie im Buche steht. Fast vier Jahre lang wurde die Tochter von Andreas Mueller an der Töplitzer Inselschule unterrichtet: in einer Flex-Klasse mit zusätzlicher sonderpädagogischer Förderung. Drei Wochenstunden standen dafür zur Verfügung, wegen des knappen Personals fielen schon mal ein paar Förderstunden aus. „Die Lehrer haben alle ihr Bestes gegeben, die Inselschule ist auch eine tolle Schule“, sagt Mueller. Aber eben nicht für seine Tochter.
Nachdem sie in die Förderschule „Am Plessower See“ nach Werder gewechselt war, hörten nicht nur die Hänseleien auf dem Schulhof auf. „Meine Tochter lernte plötzlich rechnen und lesen, hatte wieder Lust, zur Schule zu gehen und und gewann ihr Selbstvertrauen zurück.“ Mueller leitet inzwischen die Schulkonferenz der Förderschule, er macht sich Sorgen.
Unter dem wolkigen Stichwort „Inklusion“ will Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) ab 2015 eine „Schule für alle“ umsetzen. Von Hochbegabten bis zu Behinderten sollen alle Schüler in gemeinsamen Klassen unterrichtet werden, ab 2019 soll laut Münch keine Förderschulen mehr nötig sein. In Werder rätseln Eltern, Lehrer und Schüler, wie es weitergeht.
„Wenn sie die Kinder fragen, dann wollen sie nicht zurück an die Regelschule“, sagt Mueller. Das Schulgebäude ist vor acht Jahren nach allen Regeln der Kunst saniert und umgebaut worden: Für Rollis öffnen sich die Türen per Knopfdruck, die komplette Rückfront des mattroten Hauses besteht aus Glas und man schaut auf einen grünen, derzeit blühenden Schulhof. Die elf Lehrer hier haben durchweg eine sonderpädagogische Ausbildung, sind geschult und erfahren im Umgang mit lern- und motorisch gestörten Kinden.
82 Schüler werden in Klassen unterrichtet, die mit zwölf Schülern kaum halb so groß sind wie Förderklassen an Regelschulen, erzählt Mueller. Die einen bräuchten Hilfe beim Toilettengang, die anderen müssten gelegentlich mit Medikamenten versorgt werden. Zur Begleitung stehen eine Physiotherapeutin und eine Krankenschwester zur Verfügung, auch ein Sozialarbeiter. Für den Schülertransport sind täglich ein halbes Dutzend Behindertentransporter unterwegs.
Ministerin Münch hat das einmal als „kuschelige Nester, die leider nicht auf das Leben vorbereiten“, bezeichnet, erinnert sich Mueller. „Im wahren Leben muss man lesen können, das hat meine Tochter an einer Regelschule nicht gelernt“, kontert er. Dass sich Lernerfolge erst an der Förderschule einstellen, sei auch die Erfahrung vieler anderer Eltern. „Es bringt überhaupt nichts, eine brennende Tankstelle mit einem Eimer Wasser löschen zu wollen.“ Dass die 84 Pilotschulen für ihr Inklusionsprojekt im Schnitt einen zusätzlichen Lehrer bekommen sollen, hat ihn in seiner Auffassung bestärkt. „Wenn das hohe Lernniveau der Förderschulen nicht gehalten wird, ist das eine neue Form der Diskriminierung.“
Schulträger der Förderschule „Am Plessower See“ ist der Landkreis. Doch weder von dort noch vom Bildungsministerium gibt es derzeit Hinweise, wie es weitergehen soll. „Wenn wir den Unterrichtsbeginn fünf Minuten verschieben, müssen wir das besser vorbereiten als die Inklusion“, sagt Müller. Alles, was man wisse, wisse man aus der Zeitung. Auf Initiative des Kollegiums hat sich eine Steuergruppe gebildet, die per Zukunftskonzept die Existenz sichern soll.
„Niemand käme auf die Idee, Behindertenparkplätze, Behindertentoiletten oder Niederflur-Busse abzuschaffen, um den Behinderten die gleichen Chancen einzuräumen“, meint Mueller. Inklusion würde aber genau das bedeuten: „Eine Gleichmacherei, ohne die speziellen Bedürfnisse der Behinderten zu berücksichtigen.“ Seine Argumente hat er schriftlich an die bildungspolitischen Sprecher aller Landtagsfraktionen versandt. Eine Antwort gab es bislang nur von der CDU.
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