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Potsdam-Mittelmark: Neue Lebenseinsichten für Schüler über Ländergrenzen

Beelitz – Die Oma mit dem krummen Rücken, die sich zittrig an ihren Stock klammert, sieht eigentlich aus wie das ideale Opfer für die beiden Taschendiebe, die sich ihr schlendernd nähern. Kaum greifen die nach der Tasche, schleudert sie diese urplötzlich dem einen an den Kopf, während sein Kumpan nach gezieltem Tritt zu Boden geht.

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Beelitz – Die Oma mit dem krummen Rücken, die sich zittrig an ihren Stock klammert, sieht eigentlich aus wie das ideale Opfer für die beiden Taschendiebe, die sich ihr schlendernd nähern. Kaum greifen die nach der Tasche, schleudert sie diese urplötzlich dem einen an den Kopf, während sein Kumpan nach gezieltem Tritt zu Boden geht. Triumphierend schwenkt nun die alte Dame die Tasche wie ein Lasso und ruft lachend ins Publikum, dass es für sie keine richtigen Gegner mehr gebe unter der heutigen Jugend. Stürmischer Applaus für die Karate-Oma jüngst im vollbesetzten Beelitzer Tiedemann-Saal. Die wehrhafte Dame ist zwar die Ausnahme, aber diese von französischen Schülern gespielte Szene zeigt, wem die Sympathien der rund 200 Schüler im Saal gehörten. Engagement für Benachteiligte war das Thema der Veranstaltung, die das Sally-Bein-Gymnasium gemeinsam mit 34 Schülern aus Frankreich, 35 Schülern aus Polen und drei aus Rumänien gestaltete. Zehn Tage weilten die europäischen Partnerschüler des Sokrates-Comenius-Projektes in Beelitz. Ihre Erfahrungen zum gemeinsamen Thema präsentierten sie in selbst geschriebenen Szenen, die kritisch das Verhalten im Alltag mit behinderten, hilfsbedürftigen und älteren Menschen beleuchteten. Dazu gehörten Situationen im öffentlichen Nahverkehr und in der Freizeit. Sehr sensibel gelang es vor allem den polnischen Schülern gesellschaftliche Normen zu hinterfragen, die Behinderte noch oftmals als „krank“ abstempeln. „Als ob gesund das Gegenteil von behindert ist“, klärt eine Rollstuhlfahrerin in einer Szene auf, dass sie sich krank fühle, wenn sie mit einer Grippe im Bett liege. Auch Sport sei kein Fremdwort für sie, erzählt sie ihren neuen Freunden, am liebsten turne sie an den Ringen und im Slalom fahren sei sie sowieso unschlagbar. Anteilnehmen birgt auch Möglichkeiten zu neuen Lebenseinsichten, wie ein Videofilm der rumänischen Schüler zeigte, die ein Heim mit geistig behinderten Kindern besuchten. Deren Freude war übergroß, da sie im Alltag wenig Gelegenheit haben am „normalen“ Leben teilzunehmen. Keinesfalls geht es den Projektteilnehmern jedoch um herablassende Toleranz, sondern auch um die Frage: Sind wir wirklich so verschieden? „Die Schüler sehen jetzt vieles anders, sind respektvoller geworden gegenüber behinderten und älteren Menschen", freut sich die deutsche Koordinationsleiterin und Lehrerin, Simone Schmidt, nach dem ersten Projektjahr. Sehr beeinflusst habe diese neue Werteskala ein Besuch in der Potsdamer Gehörlosenschule und in einem Altenheim. Ein Beispiel ist dafür auch das Projekt „Kompakter Rollstuhl-Lift“, den die Beelitzer Gymnasiasten Christian Härtel und Manuel Aurich entwickelten. Als sie eines Tages im Supermarkt beobachteten, wie die hohen Regale Rollstuhlfahrer einschränken, beschlossen sie an einer Lösung für dieses Problem zu knobeln. Den dritten Prototyp ihrer Entwicklung, einen 40 Zentimeter ausfahrbaren Lift für Rollstühle, stellten beide am Donnerstag beim Bundeswettbewerb "Jugend forscht" vor. Soziale Kontakte zu Menschen mit Handicap seien für ihre Schüler eine Bereicherung, hat auch die französische Koordinatorin Marie-Agnés Morice festgestellt. „Miteinander leben ist das beste Mittel, um Vorurteile abzubauen“, weiß sie als Lehrerin eines Integrations-Kollegs in Pornic, das seit zehn Jahren Kontakte und Schüleraustausch mit dem Sally-Bein-Gymnasium pflegt.

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