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KulTOUR: Orte des Vergänglichen

Der Kleinmachnower Fotograf Mario Wilpert stellt im Rathaus Bilder des Verfalls aus

Stand:

Kleinmachnow - Der Fußboden aufgerissen, die Wände durchlöchert. Die desolate Wasserrutsche mit ihren Schwanenbooten ist längst außer Betrieb und fast selbst schon ein Kunstwerk, wie auch das bekannte Riesenrad vom Plänterwald. Der Kleinmachnower Fotograf Mario Wilpert, im Zivilberuf Verlagsvertreter, hat sieben „verlassene Orte“ in Berlin und Brandenburg mit seiner Kamera besucht und eine so sehenswerte wie lehrreiche Ausstellung für das Rathaus vor Ort daraus gemacht. Sie zeigt den großen Verfall in bunten Bildern mit Schönheit und Charme.

Ökoleute würden vielleicht von einer Rückeroberung der Natur am unheiligen Knochen der Zivilisation sprechen, wie der Schweizer Autor Franz Hohler es in einer guten Geschichte schilderte. Anderen geht vielleicht das Wort vom geschichtsträchtigen Ort über die Lippen, wie man das ja schnell und gerne tut. Aufgehobene Vergänglichkeit!

Es sind in der Tat staunenswerte Bilder, nur hier und da mit aller Vorsicht bearbeitet, damit noch ein Hauch von Sonne durch diese Düsternis dringt. Die Nähe der Orte zieht an, Beelitz-Heilstätten ist nicht weit, nicht das britisch-amerikanische „Horch & Guck“ auf dem Berliner Teufelsberg, Jüterbogs Altes Lager, Krampnitz, die Neue Hakeburg. Alles gleich um die Ecke. Nur einen Ort wird man nicht finden, jenen, wo der Katastrophenzug K-9 der Deutschen Reichsbahn steht: Das ist und bleibt geheim. Fotos zeigen das Innere dieses Gefährts, gedacht für den zivilen und kriegerischen Unbill: den Küchenwagen mit Kapazität für 500 Mäuler, den Lazarett-Teil, den auf 30 Tragen berechnete Bettenwagen.

Als ob die Wirklichkeit hinter den Dingen nicht schon gruselig ist, steht man einem Wanddurchbruch gegenüber, bis ins Grün des Unendlichen reichend. Natur frisst Beton, die Schwanenboote haben ihren Todesgesang längst hinter sich, das rostige Riesenrad im Hintergrund wird von einer Glaskugel vorn mit Schärfe gegeben. Auch das riesige Drachenmaul von der Achterbahn vom Spreepark wird wahrscheinlich noch lange hungrig bleiben.

Bilder wie Kunstwerke nach dem Original der Natur, oder auch nur wie gemalt, allein, wer hätte sich so etwas ausdenken können? Die Publikumsresonanz auf dieses Oeuvre ist ganz erstaunlich, die Fotos ziehen tatsächlich ihr Publikum an, nicht wenige blieben davor auch länger stehen, um alles gut und mit Sinn zu betrachten. Nur bitte, warum der Titel „Lost Places“? Gibt es vor Ort denn so viel englische Leut?

Bei der Hängung sind nur die Orte angegeben, einzelne Fotos haben keine Titel. Eine „Agenda“ im Kleindruck informiert doppelseitig über die Stätten des stolzen Verfalls, historisch und auch politisch. Da ist für jeden etwas dabei, was er noch nicht wusste. Zum Beispiel wurde die Anlage auf dem nota bene Teufelsberg seit den 1950er-Jahren hauptsächlich von der NSA betrieben, während die Gründung das Alten Lagers auf das Jahr 1870 zurückgeht. Jedes Bild hat so seine Geschichte, teils wahr, teils bestens erfunden, Hintergrund, Untergrund. Da fühlt sich der Betrachter an Fausts Letztes erinnert: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis...“ Das „wofür“ macht diese kleine Ausstellung groß und bedeutend. Gerold Paul

Bis Ende Februar ist die Ausstellung kostenlos im Kleinmachnower Rathaus zu sehen. Mo 8 bis 15 Uhr, Di 9 bis 19 Uhr, Mi 8 bis 13 Uhr, Do 8 bis 17 Uhr, Fr 9 bis 15 Uhr, Sa und So geschlossen

Gerold Paul

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