Potsdam-Mittelmark: Pioniere des Billiglohns
Die ersten 1-Euro-Jobs sind schon vergeben. Zwar ohne Zwang, aber der war gar nicht nötig
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Die ersten 1-Euro-Jobs sind schon vergeben. Zwar ohne Zwang, aber der war gar nicht nötig Von Volker Eckert Teltow - Die Worte von Jürgen Gutzmann klingen fast schon zynisch: „Die Leute haben sich drum gerissen“, sagt der Mitarbeiter des Teltower Arbeitslosenvereins (TAV). Er spricht von den gut 120 Arbeitslosen, die sich vor einigen Wochen beim TAV um die ersten 1-Euro-Jobs beworben haben. Die Leute hatten vorher jahrelang keine Arbeit, und hätten einfach wieder „raus gewollt“. Ohne dass die meisten es mitbekommen haben, hat das Programm der Bundesregierung schon begonnen, drei Monate vor dem offiziellen Start. Allein in Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf haben 60 Menschen auf Weisung der Arbeitsagentur zum 1. Oktober eine Stelle angetreten. Allerdings auf freiwilliger Basis, die Drohung mit Kürzung der Leistungen wird es erst ab dem nächsten Jahr geben. Auch der Qualifizierungsanteil ist bis dahin noch nicht vorgeschrieben. Was jetzt aber sehr wohl schon gilt, ist die Begrenzung auf Teilzeitarbeit für sechs Monate. Und die Bezahlung: 1,30 Euro pro Stunde. Herbert Genellus und Hans-Joachim Skowron sind imTeltower Bauhof untergekommen und zurzeit vor allem damit beschäftigt, das fallende Laub von den Wiesen zu harken. Genellus (52) hatte sich als Ungelernter mit Jobs in der Landwirtschaft, auf dem Bau und mit ABM“s durchgeschlagen. Aber in den vergangenen anderthalb Jahren tat sich nichts mehr. Der ein Jahr jüngere Skowron war schon seit drei Jahren ohne Arbeit. Und wahrscheinlich wird er es auch in einem halben Jahr wieder sein, sagt er. Besonders groß sei die Motivation da nicht. Seine Frau habe ihm „zuerst einen Vogel gezeigt“, als sie von dem Angebot hörte. Eigentlich sei die Bezahlung ja ein Hohn, findet Skowron. Rund 100 Euro kommen m Monat dabei heraus, die er zusätzlich zur Arbeitslosenhilfe erhält. Skowron überlegt einen Moment, dann sagt er: „Auf der andern Seite: 100 Euro haben oder nicht haben.“ Vize-Bauhofleiter Frank Westphal weiß, dass die Motivation seiner zwei neuen Mitarbeiter begrenzt ist. Aber das kann er sich nicht aussuchen. In der Vergangenheit haben oft Leute bei der Stadt angerufen und sich beschwert über schlecht gepflegte Grünanlagen, liegen gebliebenen Müll. Da bringen ihm die beiden Neuen schon Entlastung. Im Januar sollen weitere dazukommen. Andere 1-EuroKräfte sind in der Seniorenpflege untergekommen oder den Gemeindeverwaltungen. Die Bürgermeister haben sich verpflichtet zu kooperieren. Auch beim Diakonissenhaus Teltow-Lehnin sind Arbeitslose im Einsatz, vor allem in der Pflege der Grünflächen. „Wir bereiten uns jetzt auf den Januar vor“, sagt Vorstandsassistentin Schwester Ulrike Büttner. Es gehe ja darum, die Leute vernünftig einzusetzen, so dass die sechs Monate zum ersten Schritt in den Beruf werden. In der Küche helfen, mal was vorlesen, einen Ausflug mit den Leuten machen, so stellt sie sich das Einsatzgebiet der 1-Euro-Arbeiter vor – eben Sachen, die sonst nicht gemacht werden, weil beim Personal inzwischen so knapp kalkuliert werde. In dieser Woche haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute davor gewarnt, dass die 1-Euro-Jobs nicht zur ständigen Einrichtung für Langzeitarbeitslose werden. Die Gefahr sieht auch Jürgen Gutzmann vom TAV. Früher oder später würden sich auch die Unternehmen melden und auf 1-Euro-Ebene einstellen wollen. Besser sei es aber doch, reguläre Jobs zu schaffen. Gutzmann besorgt: „Da kommt was ins Rollen.“
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