Potsdam-Mittelmark: Popper, Punker, Pioniere
Zeitensprünge-Projekt in Nuthetal: DDR-Erforschung soll in diesem Jahr weitergehen
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Nuthetal - Im August 1985 feierte der Punk Andreas Bellini zu Hause in Rehbrücke Geburtstag. Der damalige Bürgermeister meldete der Polizei eine „Konzentration von Punkern“. Die nahm die wohl recht laute Feier unter Beobachtung. Erst lief Tonbandmusik, später spielte eine junge Potsdamer Punk-Band. Um 22.30 Uhr wurden 54 der Jugendlichen von einem Großaufgebot an Polizei festgenommen und über Nacht verhört. Minderjährige waren als potenzielle Szenespitzel schon registriert, jetzt konnte man sie fragen, ob sie IM werden wollen.
Die Geschichte haben Jugendliche des Nuthetaler Zeitensprünge-Projektes recherchiert. Unter der Überschrift „Popper, Punker, Pioniere“ erkundeten sie die DDR-Jugenszene der 70er und 80er Jahre, interviewten Zeitzeugen und besuchten das DDR-Museum in Berlin. Andreas Bellini gehörte zu den dankbarsten Gesprächpartnern, seine damalige Geburtstagsfeier bot einen besonders tiefen Einblick in den DDR-Alltag: Die Potsdamer Stasi informierte seinerzeit die Berliner Hauptabteilung IX auf vier Telegrammseiten über die „erfolgreiche Auflösung einer nicht genehmigten Veranstaltung in Bergholz-Rehbrücke“. Über Freunde aus dem Umfeld der Band gab es Akten in der Potsdamer Stasi-Abteilung XX, von „politischer Untergrundtätigkeit und politisch-ideologischer Diversion“ ist da die Rede. Erfolglose Anwerbeversuche als IM unter den Jugendlichen zogen Ausreiseanträge nach sich.
Die jungen Historiker haben Feuer gefangen: Auch in diesem Jahr wollen sich die Nuthetaler mit dem Verein „Die Brücke“ am Projekt Zeitensprünge beteiligen. Gerade wurde ein Förderantrag gestellt, teilte Jugendkoordinatorin Jana Köstel mit. Es geht um lokale Heimatgeschichte, wie sie nicht im Geschichtsbuch steht. Bereits 2008 und 2009 ist in Zusammenarbeit die mehr als 100jährige Geschichte der alten Schule Bergholz erforscht worden. Es ist das heutige Mehrgenerationenhaus, in dem der Verein seit 1998 selbst sein Domizil hat.
Mit den Ergebnissen ihres DDR-Projektes waren die Zeitenspringer im November auf dem Jugendgeschichtstag in Potsdam vertreten. Sie gehörten zu den 31 eingeladenen Teams des Landes Brandenburg, waren einzige Vertreter aus Potsdam und Potsdam-Mittelmark. Die Projekte wurden aus dem Programm „Zeitensprünge“ der Stiftung Demokratische Jugend gefördert.
Die Nuthetaler Nachwuchsforscher hatten sich mit verschiedenen Gruppen der DDR-Jugendszene beschäftigt, mit Punks, Gruftis, Hippies aber auch Neonazis. Meist war die Musik das Mittel, ihr Lebensgefühl zum Ausdruck zu bringen. Liedtexte von der Klaus Renft Combo, Silly und Karat wurden studiert, versteckte Systemkritik, die die Zensur überstehen musste. Dass Punks sich in Irokesenfrisur zeigten, brachte die „feindlich-dekadenten Jugendlichen“ dauerhaft ins Visier von Polizei und Staat. Noch 1989 wurde ihnen für Potsdam ein „Innenstadtverbot“ erteilt. Ein Rehbrücker Zeitzeuge berichtete, dass bei Verstößen Verhaftung drohte.
Die „persönlichen Einblicke“ fand Steven interessant. Bendix hält das Thema noch lange nicht für ausgeschöpft und freut sich, dass es in diesem Jahr weitergeht. „Wir haben noch nicht ausgewertete Interviews und viele Gesprächspartner, die zum Thema Jugendkultur in der DDR etwas berichten können und wollen“, so Projektleiterin Jana Köstel. Ute Kaupke
die-bruecke-ev-nuthetal.de
Ute Kaupke
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