zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: „Schill bleibt schillernd“

Militärhistoriker Martin Rink im PNN-Interview

Stand:

Dr. Rink, Sie haben sich als Militärhistoriker mit Ferdinand von Schill beschäftigt. Wer war dieser Mann, der innerhalb kürzester Zeit vom militärischen „Nobody“ zum gefeierten Volkshelden wurde?

Tatsächlich war Schill die meiste Zeit seines Lebens ein unbeachteter Leutnant, dem man nicht die Befähigung zu Höherem zugestanden hätte. Laut Überlieferungen neigte er zum Träumen, dachte eher unstrukturiert. Er wird als leutselig und umgänglich beschrieben und redete mit Soldaten auf Augenhöhe, war volkstümlich und wirkte dadurch ziemlich unpreußisch. Sein phänomenaler Aufstieg vollzog sich in nur zweieinhalb Jahren, von Ende 1806 bis zum Mai 1809.

Wie sah dieser Aufstieg aus?

Es begann in der Katastrophe: Bei Auerstedt erlitt auch das Regiment, in dem Schill kämpfte, eine unrühmliche Niederlage gegen die französischen Truppen. Verwundet schleppte er sich über Magdeburg nach Hinterpommern. In der belagerten Festung Kolberg stellte er ein eigenes Freikorps auf – und damit begann der Mythos. Ein kleiner Leutnant schart auf eigene Faust zersauste Soldaten, die aus allen Richtungen geflüchtet waren, um sich und stellt mit ihnen und Leuten aus der Zivilbevölkerung – teilweise mit Mistgabeln und Sensen bewaffnet – ein Freikorps auf. In der weiträumigen Umgebung unternahmen sie Überfälle und Aufklärungsritte.

Wie erfuhr die Bevölkerung davon?

Die zeitgenössische Presse hat Schills Husarenstreiche sofort aufgegriffen und verbreitet. Zwar gab es diese Form des „kleinen Krieges“ schon vorher, doch hier kommt erstmals eine freiheitliche und nationale Komponente hinzu. Die Festung Kolberg kann man mit den Geschichten aus Asterix vergleichen: Ganz Preußen ist besetzt – ganz Preußen? Nein, ein kleiner Teil des Landes leistet weiter Widerstand. Aufgeklärte Geister sagten mittlerweile in aller Öffentlichkeit, was sie vom regulären Militär hielten: Es hatte versagt. An diesem Punkt wurde der „kleine Krieg“ zum Volkskrieg.

und Schill zog die Massen in seinen Bann. Das muss doch die Monarchie in ihren Grundfesten erschüttert haben?

Hier kam neben dem König eine weitere Autorität auf: Während andere Regimenter aufgelöst wurden, wurde für Schill ein neues aufgestellt. Zusammen mit der Infanterie des Freikorps, das nun zur königlichen Garde gehörte, zog dieser Verband im Dezember 1808 nach Abzug der Franzosen triumphal in Berlin ein. Beide Verbände trugen auch noch seinen Namen. Und die alte Herrschaft war ohnehin erschüttert: Durch den katastrophalen Frieden von Tilsit im Juli 1807 war Preußen auf die Hälfte geschrumpft. Friedrich Wilhelm III. saß immer noch in Königsberg und in Berlin war ein Machtvakuum entstanden. In solchen Momenten suchen sich die Menschen eine Projektionsfläche für ihre Hoffnungen.

Am 28. April 1809 brach Schill mit seinen Husaren in Berlin auf, um die Besatzer aus Preußen zu vertreiben. Waren er und seine Leute allein?

Nein. Schill setzte darauf, dass sich auch in anderen besetzten Gebieten die Menschen erheben werden, ganz nach dem Vorbild der spanischen Guerilla. Und er ging davon aus, dass Österreich zu den Waffen greifen wird. Diese Überlegungen hegte nicht nur Schill, doch während der König und die anderen Offiziere sich nicht zum Aufstand in Preußen durchringen konnten, wollte Schill ihn proben. Die Entscheidung dafür fiel nicht erst in Geltow, sondern schon vor dem Halleschen Tor in Berlin: Hier ließ er halten und fragte seine Männer, ob sie mit ihm ziehen wollen, um die „Schmach des Vaterlandes zu rächen“.

Obwohl ihm die Rückendeckung aus Berlin fehlte, zog er in den Krieg. Das klingt nach einem Himmelfahrtskommando.

Schill wurde durch die nationalen und patriotischen Kräfte so weit getrieben, er konnte sich dem nicht mehr entziehen. Und am Anfang schaffte er es ja auch, den Gegner immer wieder an der Nase herumzuführen und ihm – mindestens moralische – Niederlagen beizubringen. In Stralsund schließlich fiel er – und hat damit das beste Schicksal erlitten, das er haben konnte: Nicht das eines Fidel Castro, sondern das eines Che Guevara, dessen Charisma nach seinem Tode weiterlebt. Schills Mythos fand Eingang in die Burschenschaften und in die bürgerliche Revolution 1848. Er wurde schließlich zur Ikone der Nationalbewegung.

Schill taucht aber auch im Nationalsozialismus wieder auf.

Ja, im Zusammenhang mit dem Nationalen von Anfang an. Schill wurde hier als preußischer Offizier und Kämpfer gegen die Franzosen gesehen. Entscheidend ist aber der Begriff des Volkskrieges, den die Nationalsozialisten für sich beansprucht haben, besonders als der Zweite Weltkrieg total wurde. Schill wurde wiederentdeckt und -belebt. Es ist kein Zufall, dass noch im Januar 1945 der Film „Kolberg“ mit Heinrich George auf die Leinwand kam. Die DDR nutzte ihn aber auch: als Freiheitskämpfer gegen einen „imperialistischen Gegner“. Die deutsch-sowjetische Waffenbrüderschaft wurde in Schills Zeit hineininterpretiert und das Kampfhubschraubergeschwader 3 der NVA in Cottbus hieß „Ferdinand von Schill“.

Ist es nach diesen zahlreichen Umdeutungen heute noch opportun, Schills Andenken zu pflegen?

Wenn man historisch-kritisch damit umgeht, ist es unproblematisch. Man sollte auch sagen, welche nationale Sprengkraft manchmal dahinter steckt. Man darf nicht leichtfertig mit den Dingen umgehen, die vom Nationalsozialismus missbraucht worden sind – und das sind ziemlich viele. Die Nationalsozialisten verstanden es, zu fast allem einen Bezug herzustellen – so war es ja auch bei der Garnisonkirche.

Sie haben als Zeitsoldat und Offizier selbst in der Bundeswehr gedient – welche Rolle spielte Schill für die Truppe?

Im Alltag war er damals kaum ein Thema, und wenn, sprach man nur undifferenziert über ihn: „Guter Mann, interessanter Plan, hat leider nicht geklappt.“ Für die Bundeswehr insgesamt aber sind die preußischen Militärreformer – und damit auch Schill – eine der ersten Traditionssäulen: Sowohl 1806 als auch 1945 gab es Katastrophen für die Armee, und in beiden Fällen wurde sie danach reformiert. Später kamen die Verschwörer vom 20. Juli und die eigene Bundeswehrgeschichte als weitere Säulen hinzu.

Zum Schill-Jubiläum gibt es dieser Tage überall in Deutschland Veranstaltungen. Heimatforscher erinnern an ihn, Ausstellungen werden ihm gewidmet und Traditionsvereine hüllen sich in Freikorps-Uniformen. Lebt der Mythos wieder auf?

Das ist Lokalpatriotismus im besten Sinne; gut so, wenn es nicht in unkritische Verherrlichung ausartet. Die Leute interessieren sich in immer stärkerem Maße für ihre Heimat, und in Verbindung damit auch für Ferdinand von Schill. Ich bin sehr gespannt, wie die vielen Projekte in diesem Jahr umgesetzt werden, ob nun in Minden, Wesel, Stralsund oder in Geltow. Schill bleibt schillernd – in der Tat.

Das Interview führte Thomas Lähns.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })