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Potsdam-Mittelmark: Schmidts neue Grillsaison

Jahr für Jahr ein bisschen mehr: Wie die Firma „Kaninchenspezialitäten aus Beelitz“ die Hauptstadtregion eroberte

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Jahr für Jahr ein bisschen mehr: Wie die Firma „Kaninchenspezialitäten aus Beelitz“ die Hauptstadtregion eroberte Beelitz - Die Sommerpause, die es früher einmal gab, hat sich Steffi Schmidt selbst verscherzt. Der Kaninchen-Grillspieß, die Kaninchen-Bratwurst, Kaninchen-Grillplatte und mit Speck gefüllte Zöpfe – Steffi Schmidt hat all diese Produkte erfunden. „Na und jetzt, in der Grillsaison, werden sie natürlich auch gekauft“, lacht sie. So sei auch die ruhige Sommerzeit dahingeschmolzen – und die Firma weiter gewachsen. Die Beelitzer Frohnatur ist der kreative Mittelpunkt der „Kaninchenspezialitäten aus Beelitz“, einem der wenigen Betriebe der Bundesrepublik, die mit Kaninchenfleisch Geld verdienen, und der einzige Kaninchenfleischverarbeiter im Land Brandenburg. In der Ödnis des westlichen Beelitzer Stadtrands ist die Firma mit ihren unscheinbaren Produktionsräumen hinterm Wohnsitz angesiedelt. Kurze Schlachtstrecke, eine blitzsaubere Küche und die Kühlräume - das war es auch schon. Doch der erste, bescheidene Eindruck täuscht: Was von hier aus allmorgendlich die Spargelstadt verlässt, hat schon prominenteste Gaumen verwöhnt. Ex-Bundespräsident Johannes Rau und seine Gäste ließen es sich beim letzten Sommerfest auf Schloss Bellevue schmecken. Hannelore Kohl überreichte der Firma nach einer Kostprobe den Lebensmittel-Oskar der CMA für den Kaninchenlachsschinken. Im Fernsehturm auf dem Alex bekommt man Rouladen von hier, die Turnierveranstaltungen im Hoppegarten versüßt man sich mit Kaninchenhäppchen. Und die Feinkostabteilung im KaDeWe hat gleich ein ganzes Regal für die Leckereien aus Beelitz eingerichtet, die ausnahmsweise mal nichts mit Spargel zu tun haben. „Kaninchen-Schmidt“, so kürzt man die Firma in Beelitz gern ab. Tatsächlich handelt es sich um einen klassischen Familienbetrieb. Fleischermeister Ulrich Schmidt und Fleischfachverkäuferin Edith Schmidt hoben ihn 1985 aus der Taufe. Damals war man Auftragnehmer des staatlichen Geflügelschlachthofs Borkheide. Nach der Wende wurde der Schlachthof dicht gemacht – und Schmidts mussten sich allein behelfen. Bis heute werden keine eigenen Kaninchen gezüchtet, man suchte also neue Zulieferer. „An manchen Tagen kamen wir mit 2 Kaninchen zurück, an manchen mit 1000“, erinnert sich Steffi Schmidt. Ein konstantes Wirtschaften war so nicht möglich. Sie und ihr Bruder Volkmar unterstützten inzwischen die Eltern. Mit den Jahren konnte man dann doch noch feste und verlässliche Partner finden, meist Züchter, die 100 bis 200 Kaninchen pro Monat liefern. Mancher Hühner- oder Schweinehalter der Region hat für Schmidts auf Kaninchen umgerüstet. Mit Hilfe des Agrar-Marketingverbands pro agro – Schmidts gehören zu den Gründungsmitgliedern – fand man dann den entscheidenden Kontakt zur Karstadt AG. „Ganz klar“, erinnert sich pro-agro-Geschäftsführer Hans-Jürgen Kube, „die hatten eine Marktlücke entdeckt, für die es kaum Mitbewerber gab.“ Und vor allem: Schmidts hätten Kreativität bewiesen. Etwa 80 Prozent des Umsatzes werden heute in den zehn Lebensmittelabteilungen von Karstadt und deren Töchtern Hertie und Wertheim in Berlin gemacht. Allein an Rouladen gehen dort satte 3 Tonnen jährlich über die Ladentheke. „Das wir die Hauptstadt in der Nähe haben, ist ein großes Glück für uns, denn anders als die Spanier oder die Franzosen isst der Deutsche ja leider nicht viel sehr Kaninchenfleisch“, sagt Steffi Schmidt. Auf 300 Gramm pro Jahr wird der deutsche pro-Kopf-Verbrauch geschätzt, in Frankreich ist es mehr als das sechsfache. Und ein ganzes Kaninchen kaufe heute ohnehin keiner mehr. „Der Trend geht zu Produkten, die nur noch in den Ofen geschoben werden müssen“, weiß sie. Um die Nation auf den Geschmack zu bringen, arbeitet Steffi Schmidt unermüdlich. Kein Jahr vergeht, in dem Kaninchen-Schmidt dank ihrer Erfindungsgabe nicht eine Novität auf der Grünen Woche präsentiert: 40 Produkte sind für die Kundschaft gelistet, von mit Blattspinat und Gorgonzola gefüllter Kaninchenkeule über Kaninchensalat „Asia“, Kaninchen-Jagdwurst, Sülze, Wiener, Bouletten oder Filet. Dass aus Beelitz originelle Ware mit Qualität geliefert wird, hat sich derweil rumgesprochen. Wenn Mutter Schmidt samstags auf dem Frischemarkt in Werder verkauft, bilden sich schon mal Schlangen. Auf den Spargelhöfen stehen Kaninchenwurst-Gläser, am Potsdamer Bassinplatz werden die Spezialitäten zusammen mit Geflügel verkauft. Und auch Kaisers und Reichelt sowie viele Restaurants aus der Region lassen sich von Schmidts beliefern. Und die Tierliebe? Steffi Schmidt räumt ein, dass das Leben von Mast-Kaninchen kurz geworden ist: Die Ära, als Kaninchenfleisch als mürbe galt, eingelegt und mit Speck gespickt werden musste, ist vorbei. Das geht allerdings auf Kosten der Lebenszeit. Die Rasse „Zimmermann“ ist nach 100 Tagen statt einem dreiviertel Jahr schlachtreif, doch man darf hoffen, dass es glückliche Tage waren. „Kaninchen sind extrem stressempfindlich. Sie sterben, wenn sie falsch gehalten werden oder wenn man sie schlecht behandelt.“ Schmidts wissen, von welchen Züchtern sie gute Ware bekommen. Das „sichere Händchen“ ist Teil ihrer Existenz. Durchschnittlich 1000 bis 2000 Kaninchen pro Woche werden in Beelitz zu Leckereien verarbeitet, als man mit dem Aufbau des Geschäfts begann waren es gerade 200. „Jahr für Jahr wurde es ein bisschen mehr.“ Weihnachten arbeiten die Familie und ihre drei Beschäftigten inzwischen die Nächte durch, oft werden zusätzliche Kräfte eingestellt: 10000 Kaninchen pro Woche sind es dann, die durch die Küche gehen. Dagegen ist der Sommer noch eine Erholung, freut sich Steffi Schmidt – auch wenn man sich die ausgedehnte Pause, die es früher einmal gab, in der selbst verschuldeten Kaninchen-Grillsaison nicht mehr erlauben kann.

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