Von Thomas Lähns: „Schweigen ist feige – wir reden“
Ausstellung „Opfer rechter Gewalt“ dokumentiert Morde, die Rechtsradikale zwischen 1990 und 2005 verübt haben
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Teltow - Jana Georgi war erst 14, als sie vor zehn Jahren im thüringischen Saalfeld von einem 15-Jährigen aus der rechten Szene erstochen wurde. Ähnlich erging es Alexander Selchow, 21-jähriger Bundeswehrsoldat: In der Silvesternacht 1990 wurde er von zwei 18-jährigen Skinheads im niedersächsischen Rosdorf er stochen. Der Obdachlose Horst Hennersdorf: 1993 in Fürstenwalde zu Tode gequält. Der Pole Jan W.: 1994 in Berlin in die Spree getrieben und am Herausklettern gehindert. Er ertrank.
126 Menschen sind zwischen 1990 und 2005 von Rechtsradikalen ermordet worden. Die Wanderausstellung „Opfer rechter Gewalt“ ist jetzt im Teltower Rathaus zu sehen. „Viele der Opfer – Todesopfer! – sind schon wieder vergessen oder waren gar nicht bekannt“, sagte Dietmar Viehweger vom Netzwerk Tolerantes Teltow zur Eröffnung am Donnerstagabend. Die Ausstellung wolle sie aus der Anonymität herausreißen und ihnen ihre Persönlichkeit wiedergeben.
Auf den Tafeln, die jetzt in den Fluren des Rathauses hängen, sind die schockierenden Schicksale dokumentiert. Darunter sind bekanntere Fälle wie die Todesopfer des Brandanschlages auf ein Asylbewerberheim in Mölln 1992 oder die Hetzjagd auf Omar ben Noui in Guben 1999. Zu ihnen gibt es Bilder, Daten und auf jeder Tafel eine Ansichtskarte der Stadt oder Gemeinde, in der sie ermordet wurden. Andere Opfer sind weitgehend unbekannt geblieben, von ihnen gibt es keine Fotos, manchmal nicht einmal Namen. „Obdachloser“ oder „Dreiköpfige Familie aus Sri Lanka“ steht dann auf den Tafeln, die wie Mahnmale wirken.
Jeder kann Opfer von Rechtsradikalen werden – das ist eine der Botschaften, welche die Ausstellung vermitteln will. Todesopfer hat es in Teltow noch keine gegeben, rechte Gewalt hingegen schon – zwei Fälle allein in diesem Jahr, so Tobias Pieper vom Verein Opferperspektive, der die Täter nicht nur hier vermutet: „Teltow ist auch Rückzugsgebiet für Neonazis aus Potsdam und anderen Gemeinden.“ Ein Grund mehr für Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD), rechten Tendenzen in seiner Stadt entgegenzuwirken. Sofort habe die Verwaltung das Netzwerk und den Verein Opferperspektive im Hinblick auf die Ausstellung unterstützt, berichtete er. Schmidt zitierte den Westernhagen-Klassiker: „Schweigen ist feige“, und setzte hinzu: „Wir reden.“ In seinen Augen sei es selbstverständlich, das Thema offensiv anzugehen.
So hält es auch Günter Baaske, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag, der zur Ausstellungeröffnung eine leidenschaftliche Ansprache hielt. „Man kann sich nicht vorstellen, wie jemand einen Baseballschläger nimmt und ihn einem anderen mit aller Kraft auf den Kopf schlägt.“ Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Hoyerswerda – auch er habe die vielen Gewalttaten ständig im Hinterkopf.
Rechtem Gedankengut müsse man mit Argumenten, der Ursachenbewältigung und im Ernstfall auch mit Härte begegnen. 151 Gewalttaten mit rechtem Hintergrund habe es im vergangenen Jahr im Land gegeben, elf Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der rechten Straftaten insgesamt sei jedoch gestiegen, „und das liegt daran, dass mehr angezeigt werden“, so Baaske. Immer mehr Bürger hätten den Mut, aufzubegehren: In Gesprächen, mit Demonstrationen – oder in Aktionsbündnissen und Netzwerken.
Die Ausstellung ist bis 20. Dezember im neuen Rathaus, Marktplatz 1-3, zu sehen.
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