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KulTOUR: Sehnsucht nach den „märkischen Weibern“

Gut besuchter Huchel-Abend im Wilhelmshorster Huchelhaus – was neu war wurde nicht gesagt

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Michendorf - Die überregionale Werbung hatte sich für das Huchel-Literaturhaus ausgezahlt. So viele Autos mit „B“ hat der Wilhelmshorster Hubertusweg schon lange nicht gesehen, und das bei einem doch längst abgehakten Thema. Ist denn über Peter Huchel und die DDR-Kulturpolitik nicht genug geforscht und gesagt worden?

Mitnichten, der Literaturwissenschaftler Matthias Braun, Jahrgang 1949, schrieb ein Buch über die Ostberliner Akademie der Künste und das Verhältnis der Stasi zu ihr. Darin gibt es gleich zwei Kapitel über den Lyriker. Zusammen mit dem einstigen Sekretär der Westberliner Akademie für die Abteilung Literatur, Hans Dieter Zimmermann, präsentierte der Berliner Germanist am Dienstag einem höchst interessierten Publikum den „schwelenden Fall Peter Huchel“. Beide kannten die Familie persönlich.

Was heißt hier „Fall“! 1948 war er zum parteilosen Chefredakteur des Literaturperiodikums „Sinn und Form“ berufen worden. Redaktionssitz: Hubertusweg, nicht Berlin. Mit einem bescheidenen Etat an Devisen veröffentlichte er ausschließlich, was ihm als linkslastigen Intellektuellen selber gefiel. Richtungsweisende Artikel zur DDR-Kulturpolitik aus der Feder eines Alfred Kurella oder Kurt Hager waren nicht darunter. In diesem Amt wurde Huchel 1952 Ordentliches Mitglied der Ostberliner Akademie der Künste. Das dazugehörige Monatssalär konnte er nach seiner „unwürdigen Absetzung“ als Chefredakteur 1962 gut gebrauchen, denn er war längst zwischen die Fronten des Kalten Krieges geraten und der DDR ein Ärgernis.

Im Jahr seines Rausschmisses wollte ihm die ungeliebte Schwesterakademie jenseits der Mauer den Fontanepreis als Lyriker verleihen. Die östliche war sehr dagegen. Huchel trotzte den Gewalten, er nahm an, und sein Fallen begann. Berufsverbot, Stasiüberwachung, Streichung von Altersrente und Reiseerlaubnis ab 1968. Zermürbt, erbat Huchel die Ausreise. Auch abgelehnt. Das alles ist bekannt, was aber „schwelte“ da?

Nichts anderes als ein Streit der Oberen um seine Mitgliedschaft in der Akademie. Huchel weigerte sich strikt, freiwillig aus diesem Laden auszutreten. Ihr Präsident Willi Bredel wollte den Fall rasch abschließen, aber die SED fürchtete einen Prestigeverlust, sie stimmte seinen Vorschlägen nicht zu. Sogar ein „Maßnahmekatalog“ der Stasi wurde im Februar 1964 zurückgepfiffen. Dafür gab es eine schikanöse Zwangsräumung des Sinn-und-Form-Archivs im Hubertusweg. Und eine regierungsamtliche Empfehlung an den Rat des Bezirks Potsdam, den „leisen Störenfried“ durch Kompromissangebote zu reintegrieren.

Die Bezirksoberen lehnten solch einen Verkehr mit dem „Nuttendichter“ ab, wie dieser ein klärendes Gespräch mit dem neuen AdK-Chef Konrad Wolf im Dezember 1966. Verschiedene Künstler (Dessau, Claudius) setzten sich für ihn ein, mal wegen der Ausreise, mal ob der Altersversorgung. Auch die Westmedien machten Druck. Nichts geschah, der Ministerrat Höchstselbst verhängte die Ausreisesperre.

ZK-Mitglied Alexander Abusch bot 1970 einen Kuhhandel an: Rente oder Ausreise. Ein Jahr später fuhr der Lyriker mit seiner Familie nach Italien. Der Schwelbrand war gelöscht, aber die elementare „Sehnsucht nach den märkischen Weibern“ blieb Peter Huchel bis zu seinem Tode erhalten. Was an diesem Abend neu oder „endlich dokumentiert nachweisbar“ ist, wurde nicht gesagt. Dafür gab es eine lebhafte Gesprächsrunde aller, sozusagen einen richtigen Huchelabend. Den einstigen Hausherren würde es gefreut haben.

Gerold Paul

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