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Neu im Geschäft. Der zweijährige Zuchtrüde Arthus hatte bis vor wenigen Wochen noch nie ein Schaf gesehen. Ihn hat Mario Lindenborn von einem Züchter aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Pyrenäenberghündin Kimba kommt aus Frankreich, wo sie bereits auf Schafherden aufgepasst hat.

© Enrico Bellin

Im Dienst für Schaf und Schäfer: Sie schützen die Herde wie ihre Familie

Mario Lindenborn züchtet in Wiesendorf kuschlige Helfer, die Herden vor Wölfe verteidigen sollen

Von Enrico Bellin

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Potsdam-Mittelmark - Wer im Landkreis an einer Schafherde vorbeispaziert, könnte sich künftig wundern, wenn eines der vermeintlichen Schafe plötzlich bellt. Denn Mario Lindenborns Herdenschutzhunde sehen den Tieren, die sie beschützen sollen, mit ihrem wollig-weißen Fell von Weitem zum Verwechseln ähnlich.

„Da wird sich der ein oder andere Spaziergänger schon erschrecken“, sagt Lindenborn, der seit Kurzem ein Herdenschutzhundezentrum im Wiesendorfer Ortsteil Reetzerhütten betreibt. Fürchten muss man sich vor den kuschligen Pyrenäenberghunden aber nicht. Sie sollen Schafe vor Wölfen schützen, Menschen greifen sie nicht an. „Ich trainiere die Welpen ein halbes Jahr lang, um ihnen gutes Sozialverhalten beizubringen“, so der stämmige Hundezüchter. Nur schnelle Bewegungen auf der Weide sollten Passanten vermeiden, um den Jagdtrieb des Hundes nicht auszulösen. Auch Lämmer sollten lieber nicht gestreichelt werden. „Für die Hunde gehören die Schafe zur Herde, das Streicheln könnten sie als Angriff werten.“

Bei Mario Lindenborn wachsen die Hunde in der Schafherde auf. Sie sind tagsüber auf der Weide, abends gehen sie mit in den Stall. Das ist für die Tiere nicht selbstverständlich: Der zweijährige Zuchtrüde Arthus hatte bis vor wenigen Wochen noch nie ein Schaf gesehen. Ihn hat Lindenborn von einem Züchter aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Pyrenäenberghündin Kimba kommt aus Frankreich, wo sie bereits auf Schafherden aufpasste.

Hauptgegner der Hunde sind Wölfe. Allein im Landkreis Potsdam-Mittelmark sind etwa 45 Tiere unterwegs. Zäune halten sie kaum von Schafherden fern, die Hunde nehmen es jedoch spielend mit ihnen auf. „In freier Wildbahn würden die Tiere ihre Herde sogar gegen Braunbären verteidigen“, sagt Lindenborn, der auch das örtliche Tierheim betreibt.

Seit 2012 hat er in Wiesendorf gemeinsam mit Frau und Kindern eine ehemalige Pferderanch restauriert, um dort Schafe und Herdenschutzhunde zu züchten. Erst vor einem Monat kamen die ersten beiden Hunde, zehn Tage später die Schafe. „Das erste Wochenende haben wir hier auf der Couch im Besucherzentrum geschlafen, um dabei zu sein, falls Hunde und Schafe sich nicht vertragen.“ Doch Lindenborn und seine Frau hatten ruhige Nächte. Hund und Herde sind zu einer Einheit geworden. Eine weitere gute Nachricht: Kimba ist trächtig.

Für den Nachwuchs haben sich schon etliche Interessenten gemeldet. 400 bis 500 Euro müssen sie je Hund zahlen und einen Vertrag schließen, der Mario Lindenborn erlaubt, die Tiere noch mindestens zwei Jahre lang zu besuchen. So soll sichergestellt werden, dass die Hunde weiter trainiert werden, bis sie eine Schutzhundeprüfung absolviert haben. Zwar gehe die Zahl gewerblicher Schäfer zurück, doch immer mehr Menschen halten sich exotische Schafrassen als Hobby und seien an den Schutzhunden interessiert.

Neben Schafen können die Hunde auch Ziegen, Dam- und Rotwildherden bewachen. Pro Herde sollten aber immer zwei Hunde gleichzeitig im Einsatz sein. „Wölfe greifen im Rudel oft von mehreren Seiten an“, erklärt der Züchter. Bei seiner Herde konnte er bereits das Abwehrverhalten beobachten, wenn fremde Hunde am Tor der Zuchtstation bellen. Arthus stellt sich mit den Vorderpfoten auf den Zaun, um den potenziellen Angreifer wegzubellen. Kimba steht zehn Meter dahinter, gibt ihm Rückendeckung und bewacht die Flanken. Und die Schafe stellen sich demonstrativ hinter die Hunde.

Die wichtigste Zeit für die Herdenschutzhunde ist die Nacht. Da müssen sie ständig auf der Hut sein. Wenn sie morgens ihr Futter gefressen haben, legen sie sich erst einmal schlafen. Auch wenn die Hunde nicht nur die private Herde schützen, sondern für die Familie da sein sollen, sollte man ihnen Pausen gönnen. Mario Lindenborn: „Der Hund kann nicht vormittags mit den Kindern spielen und abends die Schafe bewachen.“

Um der Nachfrage nach den Herdenschutzhunden gerecht zu werden, will sich Lindenborn zukünftig drei weitere Hündinnen für die Zucht anschaffen. Jede soll dann in einer kleinen Herde mit zehn Schafen ihre Welpen aufziehen. Außerdem sollen im Schutzhundezentrum Seminare zum Umgang mit den Tieren abgehalten werden. Auch auf politischer Ebene setzt sich Mario Lindenborn für die Tiere ein. Für das Finanzministerium erarbeitet er momentan mit Mitstreitern ein Konzept, nach dem Schäfer eine Landesförderung für die Hundeanschaffung erhalten sollen.

Am heutigen Samstag veranstaltet das Herdenschutzhundezentrum Am Sägewerk 4 in Wiesenburg von 12 bis 17 Uhr einen Tag der offenen Tür mit Kinderprogramm sowie Speisen und Getränken.

HINTERGRUND

Herdenschutzhunde gelten als das älteste Mittel gegen Wolfsangriffe. Gut 100 Schutzhunde sind in Brandenburger Schäfereien im Einsatz. Infrage kommen vor allem der Pyrenäenberghund und der Maremmano-Abruzzese. Die Tiere wachsen als Welpen in der Schafsherde auf, werden dort sozialisiert und verteidigen ihre Schafherde wie die eigenene Familie. Vor allem Hobby-Schäfer fordern, dass das Land Anschaffung und Haltung der Hunde fördert. Ein Welpe kostet bis zu 1000 Euro. Pro Jahr fallen für Futter oder Tierarztbesuche zudem nochmals bis zu 1000 Euro an. Ein Schäfer verdient im Jahr rund 15 000 Euro. Für eine Herde werden mindestens zwei Hunde benötigt. PNN

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