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KulTOUR: Sommer – Sonne – neue Prosa

In Beelitz-Heilstätten wurde das literarische „jott-weh.de“ gesucht

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KulTOURIn Beelitz-Heilstätten wurde das literarische „jott-weh.de“ gesucht Beelitz-Heilstätten - Das literarische „jott-weh. de“ am Samstag war weitgreifend angelegt. Als Gemeinschaftsaktion des Fachbereiches Germanistik der Berliner Humboldt-Universität und des Studienganges Kulturarbeit der Fachhochschule Potsdam fand sie „janz weit draußen“ statt, in der so genannten Provinz, dort, wo Brandenburgs größtes Flächendenkmal mit vielen seit Jahren ungenutzten Gebäuden liegt, in Beelitz-Heilstätten. Eine Woche lang hatten sich in diesem Landschaftsideal aus Park und verwitterten Jugendstilbauten Autoren, Studenten und Literaturwissenschaftler getroffen, um die Welt außerhalb des Zentrums zu eruieren, zu ventilieren, zu reflektieren. Diese gute Idee war der Unterstützung von „Kulturland Brandenburg“ allemale würdig, nicht allein wegen des ohnehin günstigen Themas „Landschaft und Gärten“, sondern weil dieser Veranstalter mehr für diese Heilstätten zu tun bereit ist als manche Aggregation in der politischen Landeszentrale. Fünf jungen Autoren wurde also nichts Geringeres als die „Entdeckung der Provinz“ zur Aufgabe gemacht, ihre literarische „Vermessung und Beschreibung“. Sommer, Sonne, neue Prosa erwartete das zahlreich erschienene Publikum am Heizkraftwerk Süd. Eine rustikale Küche mit Würstchen und Cola, Kuchen und Wein besorgte das leibliche Wohl, die Band „The mariachis & ivo lotion“ warb mit softigen Klängen, Akkordeon und feinstimmiger Geige, für gute Laune. Das Lesepodium auf der kleinen Bühne schien dem dunklem Charme der mazerierten Bauten angepasst, zwei ausgediente Sessel, eine dreileuchtige Leselampe, das Korbsofa von dunnemals. Janz urjemütlich, jwd“, man konnte kommen oder gehen wie man wollte, der Eintritt war frei. Weitgreifend meint nicht nur Dauer und Struktur der Veranstaltung, die gegen 15 Uhr begann und sich, mit langen Pausen, in den Abend streckte, sondern auch das nie ganz klar umrissene Thema selbst. „Provinz“ kann eine trostlose Klitsche irgendwo sein und ein trister Kiez in der Hauptstadt. Oder nur wieder ein Trend, wie Stephan Porombka eingangs sagte: Die junge Literatur der 90er Jahre strömte heftig in die Urbanität, doch als „der erhoffte Großstadt-Roman“ aus- blieb, zog es sie wieder mit Macht ins Freie hinaus; „Literaturbewegung“ nennt man das wohl. Der Weg dorthin kann freilich weit sein, wie drei junge Journalisten aus Hildesheim eingangs zu bezeugen wussten. Annegret Bauer, Dorothee Fesel und Robin Thiesmeyer ward ein dreitägiger Fußmarsch vom Alexanderplatz bis nach „Beelitz-Zauberberg“ im Solo angetragen, damit beim Gehen, frei nach Kleist, die allmählichen Gedanken zum Schreiben verfertigt würden. Bei Thiesmeyer war es eine (räumlich nicht immer genau gefasste) Hunde- und Katzengeschichte, bei Fesel viel Qualen und Befindlichkeit beim Laufen oder im virtuellen Koffer-Raum eines Autos. Diese Texte erlebten ausgerechnet in der Stille dieser „Provinz“ ihre Weltpremiere, wie weitere, die später folgten. In den weitgreifenden Pausen konnte man sich über die Licht- und Objekt-Installationen „pulsare“ der Gruppe „Optikproviant“ im Bauch des Heizhauses verwundern, ein Stück „Metropolis“ im Grünen. Wie einfach doch das Ding mit der Kunst sein kann. Dann hörte das erfrischte Publikum die „Aktuellen Berichte aus der Provinz“, wo es um „Krötenwanderung und Rübenrodung“ (Kolja Mensing, Norbert Kron) ging, um „Grabungen, Bilder und Fundstücke“ (Michael Angele, Annett Gröschner, Jens Sparschuh). Schön, so etwas zu entdecken. Vielleicht war da mehr „Literatur“, mehr Verinnerlichung, mehr Geist vom Geiste dieser peripheren Lage, flink Provinz genannt. Sie hat mit Rüben nichts gemein, nichts mit Dödelei und Einfalt – das war am Samstag zu lernen. Hatte Jean Paul seine großen Romane – Weltliteratur - nicht in einem winzigen Dorf geschrieben? Das Wort „Provinz“ unterstellt ja, dass es nur in der Urbanität „rechtens“ zugehe. Gemein. Stadtflucht – Landliebe? Dass nur keiner die Provinz (im Kopf) verachte!

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