
© Kai Heinemann
Potsdam-Mittelmark: Sparsam mit dem Gift
Der Dornfinger hat Nistsaison. Rund um Werder ist die Giftspinne inzwischen flächendeckend vertreten
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Werder (Havel) - Sie sind nur anderthalb Zentimeter groß und sorgen Sommer für Sommer für Schlagzeilen: In diesem Jahr war es ein Mann aus Wittstock (Ostprignitz), der von einem Dornfinger gebissen wurde, den er von der Fensterbank seines Hauses wegstreifen wollte. Sein Finger sei tagelang taub gewesen, wie eine Lokalzeitung berichtete. Kai Heinemann vom Landschaftsförderverein Potsdamer Kulturlandschaft sagt, dass der Dornfinger auch im Werderaner Raum inzwischen flächendeckend vertreten ist.
Dank des Klimawandels fühlt sich die Art längst auch in Deutschland, vor allem in Brandenburg, wohl. Mit den Beißwerkzeugen, den Cheliceren, sind die anderthalb Zentimeter großen Spinnen in der Lage, menschliche Haut zu durchdringen und ihr neurotoxisches Gift zu injizieren. Der Schmerz wird mit Wespen- oder Hornissenstichen verglichen. Was immer wieder die Gemüter erhitzt, ist der Umstand, dass es sich um die einzige in Deutschland vorkommende Giftspinne handelt.
Heinemann spricht von Panikmache, Zeitungsüberschriften wie „Giftspinne erobert Brandenburg“, „Invasion der Todesspinnen“ oder „Teuflische Brut“ ärgern den Biologen. „Ich stiefle durch alle möglichen Wiesen und bin bis zum heutigen Tage von keinem Dornfinger gebissen worden“, sagt er. „Selbst dann nicht, als ich prüfen wollte ob die Horrormeldungen stimmen und die Spinnen mehrfach gereizt habe.“ Sogar ein Gespinst habe er geöffnet, ohne dass etwas passiert sei.
Die Dornfinger hätten ihre Giftklauen nur ein einziges Mal ausgefahren: Es handelte sich um ein frisch gehäutetes Weibchen, dass einen Gifttropfen abgesondert habe. „Die Tiere setzen scheinbar ihr Gift genau wie Schlangen sehr sparsam und präzise ein“, ist Heinemann überzeugt. Festes Schuhwerk reicht nach seiner Überzeugung aus, um sich zu schützen.
Besonders auf trockenen Wiesen wie im Töplitzer Wolfsbruch fühlen sich die Ammen-Dornfinger wohl. An den schwarzen Beinenden und Kieferntastern kann man sie erkennen. Laut Heinemann sind in diesem Jahr deutlich weniger der Krabbler unterwegs als 2013. Auf einer 50 mal 50 Meter großen Wiese seien, schätzt er, seien im vergangenen Jahr zehn bis zwanzig Gespinste zu finden gewesen, in diesem Jahr vier bis fünf. Die Spinne bindet wenige Grashalme zu Zelten zusammen, darin schützt ein taubeneigroßer Kokon die Eier, die im Juli-August abgelegt werden. Dann kommt es offenbar gelegentlich auch zu den Beiß-Vorfällen.
Matthias Freude, Zoologie-Professor und Präsident des Landesumweltamtes Brandenburg, beobachtet den Dornfinger seit Jahrzehnten, schon in der DDR-Zeit sei er vereinzelt vorgekommen. „Damals musste man noch etwas suchen, heute nicht mehr.“ Je trockener das Jahr, desto stärker sei die Art verbreitet.
Nicht das Gift mache den Dornfinger einzigartig in Deutschland, betont Freude. „Es gibt viele giftige Insekten.“ Dass diese Spinnen Klauen haben, die auch die menschliche Haut durchdringen können, sei aber ungewöhnlich. Freude vergleicht sie mit scharfen Waffen, mit denen eine Festung, der Nistplatz, verteidigt werden kann. Allein für den Beutefang benötige der Dornfinger die Beißwerkzeuge jedenfalls nicht, glaubt er.
Freude sieht die Gefahr anders als Heinemann: „Man sollte schon aufpassen, dass man nicht über ein Nest läuft.“ Er höre gelegentlich, dass Hunde von den Spinnen ins Ohr gezwickt werden. Auch für Menschen sei der Biss unangenehm, Allergiker könnten heftig reagieren und sollten einen Arzt aufsuchen.
Gemeinhin verschwinden Schwellungen, Rötungen und ein leichtes Taubheitsgefühl nach einigen Stunden. Gemessen an der Zahl von Giftspinnen in Mitteleuropa, heißt es in einer Studie der Universität Bern vom vorigen Jahr, seien Bisse aber äußerst selten. Henry Klix
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