Von Jana Haase: Spinnen und Klinken
Tradition seit 1918: Die Geltower Werkstatt der Wurzigers ist eine der letzten Gelbgießereien Brandenburgs
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Schwielowsee - Wurziger öffnet Türen, und zwar buchstäblich: Die Türklinken im Berliner Dom, im Schloss Caputh oder zum Oberbürgermeisterbüro im Potsdamer Rathaus, alle wurden in der Traditionswerkstatt in Geltow handgefertigt. Messingkronleuchter, Weinflaschenhalter, Türklopfer oder Beschläge gehören genauso zum Sortiment einer der letzten Gelbgießereien Brandenburgs.
„Gelbgießer, das kommt vom geschmolzenen Metall – das ist gelb“, erklärt Jürgen Wurziger. Mit 69 Jahren ist er der Senior in der Werkstatt, die sein Sohn Andreas, 39 Jahre, 2006 übernommen hat. Damit existiert der Familienbetrieb in vierter Generation. Weitere Angestellte haben Vater und Sohn derzeit aber nicht.
Dass das Haus im Kuckucksweg ein Kunsthandwerker-Domizil ist, bemerken aufmerksame Spaziergänger schon am Zaun: Das filigrane Astgeflecht erweist sich bei näherem Hinsehen als Metallzaun – die Wurzigers haben dafür Äste aus dem Wald in Metall nachgegossen, erklärt Wurziger Senior. Liebevolle Details wie Ameisen und Spinnen machen das Kunstwerk komplett.
Überhaupt: Spinnen. Die sind in der Werkstatt und im kleinen Ofenhaus im Garten allgegenwärtig, Metallspinnen hängen an den Wänden, im Büro gibt es einen Kronleuchter, bei dem die Kerzen von einem Messing-Spinnennetz gehalten werden. Die Spinnen-Vorliebe entwickelte Jürgen Wurziger aus Widerspruchsgeist, erzählt er: „Früher haben sie immer gesagt: Der Wurziger spinnt doch. Da hab ich gedacht: Das könnt ihr haben!“ Auch bissig-verspielte Satiren in Metall wie eine rückwärtslaufende „Behördenuhr“ sind sein Steckenpferd.
„Früher“ – da war Wurziger noch in Potsdam, wo Großvater Wilhelm den Betrieb 1918 gegründet hatte. Hauptsächlich Konservendosen wurden damals hergestellt, das Geschäft florierte. An die Kindheit in Potsdams Stadtmitte, die Spiele am Alten Kanal und in der Stadtschlossruine kann Wurziger sich noch gut erinnern: „Ich habe mich in diese Ruine verliebt.“ Auch die Empörung über den von der SED beschlossenen Schlossabriss ist bei ihm noch lebendig, mit einem Spenden-Souvenir in Form eines Mini-Messingpfeilers unterstützt Wurziger den Wiederaufbau des Kanals. Die Entscheidung der „Kultur-Banausen“ zum Schlossabriss war mit Grund dafür, dass er sich nach Geltow zurückzog.
Ein Stück Schloss hat er beim Enttrümmern 1960 retten können: einen lockigen Frauenkopf in Sandstein, den er bis heute in der Werkstatt aufbewahrt. Auch eine Maske aus Metall hat er der Schönen abgenommen, mit flammigem Teint und Löchern in den Wangen – „eigentlich ein Fehlguss“, so Wurziger. Für den Künstler ist es eine Allegorie auf „Die Bombennacht von Potsdam“, wie er das Werk folgerichtig benannte.
Sohn Andreas wirkt da pragmatischer, vielleicht auch, weil er als Chef nun die Geschicke des Betriebes in der Hand hat. Alle fünf bis sechs Wochen brennt der Ofen in Geltow noch. „Wir sammeln die Aufträge, bis wir genug zusammen haben“, sagt Wurziger Junior. So groß wie zwei Waschmaschinen ist der Elektroofen, der das Metall – Messing, Bronze, Neusilber, Zink oder Aluminium – verflüssigt, und er steht in einem Extra-Gartenhaus. Hier lagern auch die „Formkästen“ – eine Art Rahmen, in denen die Form für den Guss vorbereitet wird: Dafür wird das Modellstück – zum Beispiel die Türklinke – in den Rahmen gelegt und mit speziellem Sand rundum festgeklopft. Diese Prozedur wird mit einem zweiten Rahmen für die Rückseite wiederholt. Danach ist die Klinke komplett in Sand gestampft – und zwar so dicht, dass der Hohlraum erhalten bleibt, wenn man sie herausnimmt.
Etwa 1100 Grad heiß ist das Metall, wenn es in die Form kommt, erklärt Andreas Wurziger. Der Graphit-Tiegel, den die beiden Wurzigers dann mit einer speziellen Tiegelgabel gemeinsam aus dem Ofen balancieren, fasst 40 Kilo Metall.
Nach dem Guss fängt die Arbeit aber erst richtig an: In der Werkstatt werden die Gießteile abgesägt, die „Gusshaut“ – also die raue, dunkle Oberfläche – wird mit Feilen, Schleifwolle und Schleifpapier heruntergearbeitet. Am Ende werden die Stücke mit rotierenden Bürsten auf Glanz poliert. Das alles dauert dreimal so lange wie der eigentliche Guss.
Großaufträge wie der für den Berliner Dom in den 1980er Jahren sind heute selten geworden. Aber denkmalgerechte Restaurierungen und auch der Luxus-Markt für Privatleute – eine Türklinke kostet mindestens 200 Euro – werde bleiben, glaubt Andreas Wurziger: „Irgendwie geht es immer.“
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