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Hohes Suchtpotenzial: Der Eintritt in Spielhallen ist frei, die Geräte sind bunt und schrill und versprechen einen Ausbruch aus dem Alltag.

© Mike Wolff

POTSDAM-MITTELMARK: Spirale des Rauschs

Im Landkreis gibt es 13 Spielhallen – immer häufiger wird auch online gezockt. Die AWO berät Süchtige.

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Potsdam-Mittelmark - Den ersten Rausch vergisst man nie. Das gelte auch für die Wirkung von Glücksspielen, sagt Daniel Zeis von der Awo-Suchtberatungsstelle für Potsdam und Potsdam-Mittelmark. „Wenn jemand 50 Cent in einen Automaten steckt und innerhalb von wenigen Minuten 50 Euro gewinnt, dann hat das schon eine außerordentliche Wirkung.“ Die werde durch negative Erfahrungen, also den Verlust von Geld, auch nicht einfach wieder überschrieben. Für Suchtgefährdete sei das keine Barriere. Dennoch sei natürlich längst nicht jeder, der gerne um Geld spielt, süchtig.

Eine Spirale entstehe aber schnell, wenn Spieler sich überschulden, sagt Zeis. Die Betroffenen spielen dann, um ihre Schulden loszuwerden und geraten dabei immer tiefer in die Abhängigkeit. Trotzdem scheinen vor allem die mittelmärkischen Männer nur wenig Vertrauen in Hilfsangebote zu haben. Denn obwohl auf acht spielsüchtige Männer nur etwa zwei betroffene Frauen kämen, erreichen die Awo-Suchtberatungsstellen mehr weibliche Klienten. Insgesamt suchten in Potsdam und Potsdam-Mittelmark jährlich rund 50 Betroffene Hilfe, so Zeis.

Derzeit gelten im Land Brandenburg fast 20 000 Menschen als krankhaft spielsüchtig oder gefährdet. Sie stellen laut Zeis die drittgrößte Gruppe an Suchterkrankten nach Alkohol- und Cannabisabhängigen. Das Spielverhalten von etwa 9000 Menschen sei als pathologisch einzustufen, rund 10 000 hätten ein problematisches Spielverhalten, sagte Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) kürzlich in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage und berief sich dabei auf Schätzungen einer bundesweiten Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Die Schulden, die durch die Spielsucht angehäuft werden, sind teils enorm. In den brandenburgischen Beratungsstellen berichteten Betroffene laut einer Studie über Verbindlichkeiten von mehr als 50 000 Euro. Glücksspielsüchtige Menschen verspielen demnach bis zu 10 000 Euro im Monat (PNN berichteten). In Brandenburg soll demnächst ein neues Spielhallengesetz umgesetzt werden, das vor allem die Prävention unterstützen soll. Unter anderem sind größere Abstände zwischen den einzelnen Spielhallen und eine sechsstündige Sperrzeit zwischen 3 Uhr und 9 Uhr geplant.

In Potsdam-Mittelmark gibt es aktuell 13 Spielhallen: Vier davon in Teltow, je zwei in Werder (Havel) und Geltow und je eine in Bad Belzig, Beelitz, Treuenbrietzen, Kloster Lehnin und Linthe, so Kathrin Hildebrandt vom Kreisordnungsamt. Mit Ausnahme von Treuenbrietzen, Geltow und Linthe bietet die Awo in diesen Orten auch Suchtberatung an. Eine therapeutische Gruppe, in der sich zwölf Spielsüchtige regelmäßig treffen, gibt es derzeit allerdings nur in Potsdam.

Größer sei die Nachfrage nicht, Teilnehmer aus Werder und Teltow nähmen deshalb eben die längere Anfahrtszeit in Kauf. Ein Problem: Potsdam-Mittelmark ist einer der größten Landkreise bundesweit, Betroffene zu bündeln, sei deshalb schwierig. Zeis will deshalb künftig stärker auf Online-Beratungen setzen. Damit liegt er quasi im Trend, denn auch die Spieler selbst nutzen immer häufiger Online-Angebote. „Selbst auf Facebook werden mittlerweile virtuelle Geldspiele angeboten“, so Zeis.

Die Spielhallen würden durch die Online-Spiele aber noch nicht ersetzt, erst kürzlich haben in Teltow zwei neue Läden eröffnet. Für die Vergabe der Konzessionen sind die Kommunen selbst zuständig. „Eine Höchstgrenze für die Anzahl von Spielhallen gibt es nicht“, sagte Rathaussprecherin Andrea Neumann auf PNN-Anfrage. Mehr als zwölf Geräte dürfen in keiner Spielhalle stehen. Acht Prozent des eingespielten Geldes müssen die Teltower Betreiber als Vergnügungssteuer abgeben.

Anders als in Spielkasinos wird in den Spielhallen kein Eintritt verlangt. Gerade hier aber besteht nach Ansicht von Daniel Zeis ein hohes Suchtpotenzial: „Alles ist sehr auf eine sinnliche Erfahrung angelegt, die Geräte sind bunt, machen lustige Geräusche.“ Genau das suchen viele Gefährdete – einen Ausbruch aus dem Alltag. Häufig seien Probleme in der Partnerschaft der Auslöser, sagt Zeis.

Solange jemand jedoch nicht unter seinem Spielverhalten leide, werde bei den Suchtberatungsstellen auch nicht die Diagnose Sucht gestellt. „Wir versuchen herauszufinden, was derjenige, der zu uns kommt, denn eigentlich erreichen möchte“, sagt Zeis. Manche hätten nur das Ziel, weniger und kontrollierter zu spielen - „daran arbeiten wir dann“, so Zeis. Andererseits könne Glücksspielsucht für das Umfeld der Betroffenen auch lange verborgen bleiben.

Anders als bei Substanzmittelabhängigkeiten riecht man nichts, die Spieler funktionierten gesellschaftlich weiter. Auffällig sei sogar, dass viele Glücksspieler extrem viel arbeiten – um Geld für ihre Einsätze zu verdienen. „Wenn die Schulden übermächtig werden, dann kann das schnell zu existenziellen Krisen führen“, sagt Zeis. Die Partner der Betroffenen werden dann meist völlig überrascht – deshalb gelte das Awo-Beratungsangebot auch für sie.

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