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Schleudergefahr. Die Fontänen simulieren Hindernisse – und machen die Fahrbahn nass und glatt.

© Stefan Jacobs

Fahrertraining der Berliner Stadtreinigung in Linthe: Spritztour für die Sicherheit

Warum Kraftfahrer der Berliner Stadtreinigung am Fahrsicherheitstraining in Linthe teilnehmen müssen.

Stand:

Linthe / Berlin - Das Geräusch der schleudernden Müllwagen ist zum Fürchten, der Anblick ebenso: Quietschend wedeln die 16 Tonnen schweren Ungetüme über die Piste, während die Fahrer wie wild am Lenkrad drehen, um sie einigermaßen in der Spur zu halten. Ein Sonnabend im August, die Morgensonne steht noch nicht hoch über dem Fläming, wohin 84 Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung (BSR) zum Fahrsicherheitstraining gebrummt sind: Auf die Übungsstrecke des ADAC in Linthe an der A 9, wo nun orangefarbene Laster von einer Schrecksekunde zur nächsten kurven; große Spülwagen, Mercedes-Sprinter mit Ladefläche, ein Werkstattlaster, ein Abschleppwagen.

Mehr als 200 000 Teilnehmer sind hier seit der Eröffnung 2002 schon um Kurven gefegt, über Eis geschleudert oder von simulierten Reifenplatzern aus der Bahn geworfen worden. Viele davon waren Berufskraftfahrer wie die bisher 2500 Teilnehmer von der BSR, für die solche Trainings alle fünf Jahre Pflicht sind. Auch deshalb, weil die Stadtreinigung Tag für Tag knapp 2000 überwiegend sperrige Fahrzeuge durch den Berliner Stadtverkehr bewegt. 1555 Schäden haben die Männer und Frauen in Orange dabei im vergangenen Jahr verursacht, fünf pro Tag. 533 000 Euro betrug die Schadenssumme, deutlich weniger als 2014. Wie es noch besser geht, wird BSR-Fahrertrainer Thomas Fritzsche mit seinen Leuten später am Tag besprechen. Jetzt ist erst mal Action.

„Probieren wir mal 40“, beschließt Reiner Jelbke am Steuer seines Kehrichtsammelfahrzeuges und hält auf eine enge nasse Linkskurve zu. „Fahrt mal so schnell da rein, wie ihr es für machbar haltet“, hat Instruktor Matthias Mönch den Männern aufgegeben. Jelbkes Vordermann ist mit Tempo 30 durchgekommen. „Was machste, wenn du zu schnell bist?“, fragt Mönch seinen Schützling beim Start noch. „Jas weg“, ruft der – und lachend zu sich selbst: „Denkste, ick brems’ gleich oder wat?“ Jetzt bremst er doch; 40 waren zu viel, der Sprinter schiebt geradeaus.

Nebenan bei den Müllkutschern ist es noch heftiger. Mit Tempo 30 konnten sie einem Hindernis – hier eine plötzlich hochschießende Wasserwand – noch gut ausweichen, nachdem ihnen zuvor ein Ruck (der einer Glatteisstelle oder einem Reifenplatzer entspricht) das Heck verrissen hatte. Jenseits von 40 gibt es kein Halten mehr auf der weiß lackierten Fläche, die rutschig ist wie eine festgefahrene Schneedecke. Nach einer Ewigkeit kommt die leer 16 Tonnen schwere Fuhre zum Stehen – reichlich schräg. In einer Berliner Durchschnittsstraße wären jetzt beide Nachbarspuren abgeräumt.

Die Könige der Straße sind beeindruckt. Jetzt werden sie vom Trainer auch noch ermahnt, im Ernstfall nicht die Bremse zu lockern. „Begrenzt wenigstens den Schaden.“ Sinn der Übung: Wer es hier ein paar Mal gemacht hat, erschrickt nicht, wenn das Antiblockiersystem rattert oder die Reifen quietschen.

Auf der Nachbarbahn üben Reiner Jelbke und seine Kollegen in den Sprintern gerade Vollbremsungen bei verschiedenem Belag. „Fangt an den blauen Hütchen an und kommt mit einer Vollbremsung vor den roten zum Stillstand“, hat der Instruktor sie aufgefordert. Auf dem nassen Asphalt hatten alle noch ein paar Meter Reserve, auf der glatten Fahrbahn daneben waren fast alle zu schnell.

Jelbke sagt, er sei „Kraftfahrer für allet“. Von seinem Betriebshof am Ostpreußendamm aus fährt er Kipper, Kehrmaschinen, Baggersaugfahrzeuge, Winterdienst. Letzterer ist mit Schneepflug mehr als drei Meter breit, aber Kleinkehrmaschinen seien auch nicht ohne, sagt Jelbke: Alte Leute hören einen auf dem Gehweg nicht, Kinder rennen hinterher oder springen sogar auf. Und manche Autofahrer seien sich nicht zu blöd, einen anzuhupen. Aber mit der Fahrzeuggröße wachse die Herausforderung.

Ein 2,55 Meter breiter Lkw kann in seiner Spur keiner geöffneten Autotür ausweichen. „Man muss im Lkw alles immer schon 50 Meter vorher checken“, sagt Jelbke. Wenn er rechts abbiegen muss, zählt er vor der Kreuzung die Radfahrer, die er überholt hat und dann vorbeilassen muss. Sechs Außenspiegel hat ein moderner Lkw, nur zwei Augen ein Mensch.

„Die haben alle morgens keinen Bock, aber nach der ersten Übung macht es Klick“, beschreibt Cornelius Jahn seine Erfahrung mit dem Profi-Training. Er ist Betriebsleiter des Fahrsicherheitszentrums. Und freut sich an diesem Sonnabend wie alle anderen über die Farbkombination der orangenen Lastwagen vor dem dunkelgrünen Kiefernwald. 

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