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KulTOUR: Systemkonformer Aufklärer der Deppen-Republik

Kabarettist Martin Buchholz ging mit seinem „Kassandra“-Programm in Kleinmachnow nicht tief genug

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Kleinmachnow - Wenn man das Wort Zeitkritik ganz besonders weit fasst, lässt sich auch die europäische Antike da irgendwie hineinbuttern. Kassandra zum Beispiel, die Seherin aus Troja, machte sich bei den Ihren höchst unbeliebt, weil sie den Untergang des eigenen Landes und den Sieg seiner Feinde voraussagte.

Angela Merkel sagt zwar weder ihren noch den Untergang der anderen voraus. Was sie dennoch mit Griechenland und Kassandra zu tun haben könnte, war am Freitagabend im ausverkauften Bürgersaal des Kleinmachnower Rathauses von Martin Buchholz, dem Älteren, zu hören. Laut Internet gibt es dieses prominenten Namens ja zwei.

Kantig war der Kabarettist, bissig und respektlos, und unerreichbar souverän in seinen tagesaktuellen Plaudereien. Ein Name, eine Adresse, ein abendfüllendes Satireprogramm mit geschliffensten Pointen und zur Faust geballten Schwarzhumors: Wenn er zur Wahl etwa viele seiner Lieblingspolitiker an Laternen gehängt sieht – rein plakativ, versteht sich, oder Kennedys „Isch bin ain Börlinähr!“ mit der Sentenz „Kurz darauf wurde er erschossen!“ in Conclusio bringt.

Dabei will ja Martin Buchholz gar nicht so viel, nur, dass alles so weitergeht wie bisher, bloß eben besser als derzeit. Weil dazu aber einfache Menschengeisteskraft nicht auszureichen scheint, ruft er die Antike zu Hilfe. „Kassandra, übernehmen Sie!“ betitelt er diesen Mix aus Welt- und Tagespolitik, aus Regierungs- und personengebundenen Quellen, denn in diesem Zweistünder ist mächtig viel „Buchholz“ drin.

Alte Schule rundum, wenn er an einem patriotischen Bajuwaren kein gutes Haar lässt oder so tut, als würden die Politiker auch wirklich Politik machen – jedes Kind weiß das besser. Sein Motto: Lieber kein Vaterland, als ausgerechnet ein deutsches! Schon Botho Strauß´ „Anschwellender Bocksgesang“ von 1993 war ihm zu nationalistisch, obwohl dessen Zeit- und Menschenkritik nun wirklich tiefer geht als seine tolldreisten Tagesbeiträge von gestern und heute!

Endloses Gelächter, das Pointieren hat Buchholz drauf! Das handelsübliche Geschichtsbild bemühend jongliert er mit den Worten seiner Wahl, rezitiert zum Entzücken des früh gekaperten Publikums Selbstgereimtes, lästert über Berliner Schwulitäten und die politisch kriminelle Cholera zur Kohl-Ära, will mit der spätantiken Angela Merkel (erst heucheln - dann meucheln) Euros nach Athen tragen, macht dann sogar noch den Gauck zum Gauch, was eigentlich überflüssig ist.

Seine Alte Schule glaubt noch an die Politik, will deshalb Namen treffen: Rösler als späte Rache des Vietkong. Geht der Bühnenroutinier dann auch noch gegen das Publikum los, gibt es vorprogrammierten Extra-Applaus. Auch Witze weiß er zwischen seinen Dampfplaudereien gut zu erzählen. Spökenkiekerei in Richtung Kassandra betreibt der überzeugte Rationalist dafür nicht, sein Sein ist erdgebunden rein. So weiß er auch vom Himmel nur, was sein satirisches Hirn ihm gaukelt.

Schön, dass er seine Selbstdarstellungen nicht so ernst nimmt, dreißig Jahre Berufserfahrung gehen nicht mal so eben an ihm vorbei! Dergestalt also gibt er nach Gusto den Mimen, den Narren, den Entertainer, den Schauspieler, den überzeugten Aufklärer in der Deppen-Republik. Kassandra ist dabei allgegenwärtig und nirgendwo. Zu breit, zu wenig tief, zu systemkonform! Doch das nimmt Zeitkritiker Buchholz wahrscheinlich krumm. Seinesgleichen, sagt er am Schluss, würden ja erst modern, wenn die Kritiker modern. Gerold Paul

Gerold Paul

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