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Potsdam-Mittelmark: Telefonieren Duschen statt

Die Telekom lagert in Michendorf rund 3000 ausrangierte Telefonzellen. Nun werden sie zum Kauf freigegeben. Neue Besitzer machen aus ihnen Duschen oder Tonstudios

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Die klassische, abschließbare Telefonzelle ist eine aussterbende Art: Dank der immer stärkeren Verbreitung von Handys und Smartphones ist sie schon aus vielen Ortsbildern verschwunden. Nicht wenige würden sie gerne wieder aufstellen, wenn auch nicht zum Telefonieren: Immer wieder erreichen die Telekom private Anfragen, ob der Konzern nicht eine ihrer ausrangierten Telefonhäuschen verkaufen könne. Bis vor Kurzem wurden Interessenten stets mit dem Hinweis abgewiesen, dass man die Zellen noch brauche.

Das hat sich mittlerweile geändert, denn zum Jahreswechsel hat die Telekom begonnen, ihre alten Telefonzellen zum Kauf freizugeben: 450 Euro kostet das gelbe Original TelH78, das magenta-graue Modell TelH90 ist schon für 350 Euro zu haben, bestätigt Telekom-Sprecher Georg von Wagner. Einzige Bedingung: Käufer müssen die zwischen 250 und 350 Kilogramm schweren Ungetüme selbst abholen. Aber von wo?

Die Antwort liegt in einem Waldstück nordwestlich von Michendorf: Schaut man sich das Gebiet auf einer Satellitenkarte im Internet an, entdeckt man schnell einen rosa-gelben Farbklecks, der so gar nicht in den grünen Wald passen will. Bei näherer Betrachtung erweist sich die Fläche als ein Mosaik aus Tausenden Dächern von Telefonzellen.

Ausgeschildert ist das Lager nicht, umso überraschter ist man als Spaziergänger, wenn man es plötzlich pink und grau durch die Bäume schimmern sieht und vor dem abgezäunten Gelände mitten im Wald steht: So viele Telefonzellen auf einmal sieht man selten. Die Fernsprecher stehen ordentlich in Reih und Glied nebeneinander, dazwischen tun sich immer wieder kleine Gassen auf, damit die Telekom-Mitarbeiter in das Telefonzellen-Labyrinth eintauchen können.

Für Schaulustige bleibt es beim Blick über den Zaun: Anfragen nach einer Ortsbegehung lehnt die Telekom ab. Rund 3 000 kaputte oder nicht mehr benötigte Zellen aus der gesamten Bundesrepublik befinden sich auf dem offiziell als „Fernmeldezeugamt Berlin, Außenstelle Potsdam“ bezeichneten Gelände, das etwa 1,5 Hektar umfasst. Als Telefonhäuschen-Friedhof will von Wagner das Lager allerdings nicht verstanden wissen: „Die Zellen werden zur weiteren Verwendung dort gelagert und aus defekten Telefonzellen werden neue zusammengebaut und wieder zum Einsatz im gesamten Bundesgebiet bereitgestellt.“

1995 hatte die Telekom das Gelände von der Deutschen Post übernommen, es ist das einzige derartige Lager, das das Unternehmen in Deutschland betreibt. Etwa zehn Mitarbeiter nehmen hier wöchentlich neue Telefonzellen an und schauen, was sich noch damit machen lässt. „Teilweise sind die Unterbringungen noch komplett zu gebrauchen“, sagt von Wagner. „Wenn sie defekt sind, schauen unsere Techniker, welche Teile wiederverwendet werden können: Das können Außenteile einer Unterbringung sein, es können aber auch nur Glasscheiben sein oder die Telefonie-Einheit.“

Bislang wurden laut von Wagner zwar nur wenige der gebrauchten Telefonzellen an Privatpersonen verkauft, doch kreative Ideen zur Weiterverwendung gibt es genug: So mancher stellt sich die Häuschen in den Garten und funktioniert sie zur Dusche oder zum Gewächshaus um, Musiker richten sich Mini-Tonstudios ein, Filmstudios und Theater fragen an, ob sie die Häuschen als Requisite nutzen dürfen. „Oft dienen sie auch als Unterstand für technisches Equipment oder werden in Museen aufgestellt“, sagt von Wagner. Immer stärker werde außerdem das Interesse an den Häuschen für den Indoor-Einsatz, um in modernen Büroräumen ein ruhigeres oder diskreteres Telefonieren mit dem Handy zu ermöglichen, so der Telekom-Sprecher.

„Telefonhäuschen wecken in vielen Menschen schöne Erinnerungen“, sagt Bettina Kückels-Viehl vom Zentrum Mehrwertdienste der Telekom, die auch die Ansprechpartnerin für Kaufinteressenten ist und den jeweiligen Verwendungszweck prüft. „Ein Interessent hatte sich zum Beispiel gemeldet, weil er seine Frau vor 35 Jahren vor einem gelben Telefonhäuschen kennengelernt hatte und sie nun mit einem Exemplar überraschen wollte.“ Die mit Abstand häufigste Verwendungs-Idee sei laut von Wagner jedoch das Aufstellen von Telefonzellen als öffentliche Mini-Bibliothek.

Einen solche Bücherschrank hat im vergangenen Jahr auch die Michendorferin Marion Rosenthal in ihrem Wohnort aufstellen lassen; eine Potsdamer Firma spendierte ihr ein altes englisches Telefonhäuschen in knallrot, das heute auf einem Parkplatz an der Langerwischer Straße steht. Zuerst hatte sie die Telekom gefragt, dort aber eine Absage erhalten. Nun hat sich die Situation geändert, und wer weiß: Vielleicht erlebt die vom Aussterben bedrohte Telefonzelle demnächst eine Wiederauferstehung und kehrt – mit anderer Funktion – in viele Ortsbilder zurück.

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