Von Thomas Lähns: Tod vor dem Einsatz
Kamerad fand 29-jährigen Oberleutnant vor Unterkunft – am Morgen nach der offiziellen Verabschiedung nach Afghanistan
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Beelitz - Graue Regenwolken hängen über der Beelitzer Kaserne „Hans Joachim von Zieten“: Wo am Donnerstagabend noch 330 Bundeswehrsoldaten von Außenminister Frank-Walter Steinmeier feierlich in den Auslandseinsatz verabschiedet worden sind, herrscht nun bedrückende Stille. Am Freitagmorgen wurde einer dieser Soldaten von Kameraden tot vor einem Unterkunftsgebäude aufgefunden. Laut Staatsanwalt handelt es sich dabei um einen 29-jährigen Oberleutnant aus dem Land Brandenburg. Er war ledig, so eine der wenigen persönlichen Informationen.
Es habe keine Hinweise auf ein Fremdverschulden gegeben, so ein erstes Statement der Staatsanwaltschaft Potsdam vor dem Kasernengelände, die jetzt in diesem Fall ermittelt. Rudi Sonntag, Sprecher des Polizeipräsidiums Potsdam kündigt an, dass über das Wochenende Zeugen befragt werden sollen, eine Obduktion sei ebenfalls angeordnet worden. Ob es sich um einen Unfall oder um Selbstmord handelt, könne zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen. „Die Soldaten sind bestürzt“, so Oberstleutnant Frank Warda, Sprecher der Bundeswehr. Er muss sich räuspern, hat selbst einen Kloß im Hals.
Gegen 12.30 Uhr verlässt der Leichenwagen das Kasernengelände. Dass der Tote zum Logistikbataillon 172 gehörte, das für vier Monate ins Ausland abkommandiert worden ist, wird von Bundeswehrsprecher Warda bestätigt. „Er war als Nachschuboffizier in Afghanistan vorgesehen.“ Dass ein ganzes Bataillon geschlossen in den Einsatz geht, sei etwas Besonderes, hieß es noch am Vorabend: Die Beelitzer gehen Ende Oktober mit zwei Nachschub-, einer Instandsetzungs-, einer Transportkompanie sowie mit Pionieren nach Masar-e-Sharif.
Am Donnerstagabend waren die 321 männlichen und neun weiblichen Soldaten zur Abschiedszeremonie angetreten. Bundesaußenminister Steinmeier war persönlich angereist, um den Kameraden den Rücken zu stärken und die Verlängerung des ISAF-Mandates durch den Bundestag am gleichen Tag zu verkünden. Den Soldaten erläuterte er die schwierige Lage in Afghanistan und die Notwendigkeit zu helfen. Angesprochen auf die Gefahren antwortete Steinmeier in die Fernsehkameras. „Die Leute wissen, was auf sie zukommt. Der Einsatz ist nicht ohne Risiko, aber er lohnt sich.“
Die „überwiegend große Bereitschaft, sich freiwillig zu melden“, ist vom Außenminister gelobt worden. Freiwillig gemeldet hatte sich zum Beispiel Oberleutnant Kai Domack. Der 29-Jährige aus Potsdam stellte sich am Donnerstagabend den Fragen von Journalisten. Über die Gefahren in Afghanistan sei er sich im Klaren. „Das darf aber nicht dazu führen, dass man Angst hat.“ Einerseits seien die kommenden vier Monate ungewiss, andererseits fühle er sich aber gut vorbereitet. Bereits zwei Mal war er in Bosnien, einmal davon auch über Weihnachten. Was sagt die Familie dazu? „Die ist natürlich nicht begeistert. Es ist wichtig, offen über alles zu sprechen und sich über den Ernst der Sache im Klaren zu sein.“ Das gehe hin bis zum Schreiben eines Testamentes.
Der Auslandseinsatz gehört für Berufs- und Zeitsoldaten allerdings auch zwangsläufig zum Job, nur Grundwehrdienstleistende können nicht dazu verpflichtet werden. „Einsätze wie auch der bevorstehende haben wegen ihrer jeweiligen Besonderheit und Dauer immer Auswirkungen auch im persönlichen Bereich“, hatte Oberst Wolfgang Rabach, Kommandeur des Logistikregiments 17 und damit Vorgesetzter des Einsatzbataillons, am Donnerstagabend gesagt. Extreme Witterungs- und widrige Straßenverhältnisse, die Trennung von der Familie: damit müsse man umzugehen lernen. Und schließlich die Aussicht auf Weihnachten in einem fremden Land: „Die Gefühlsebene wird daher in besonderer Weise angesprochen werden.“
Gestern Nachmittag verlassen Privatautos korsoweise die Kaserne, die ersten haben bereits schwarze Bändchen an den Antennen. Dienstschluss für das „Team Heimat“. Die Polizeiwagen bleiben. Und die trauernden Kameraden vom Logistikbataillon 172, die mit ihren Gedanken auch schon in Afghanistan sind.
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