Von Thomas Lähns: Um die Wende betrogen
Hanns-Christian Catenhusen war 1989 in Beelitz stationiert. Er war angespannt, ängstlich – und bewaffnet
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Beelitz – Die Tage des Mauerfalls waren die schwärzesten in seinem Leben: „Für mich war es die größte Angst, die Maschinenpistole in die Hand zu nehmen und auf jemanden zu schießen“, erinnert sich Hanns-Christian Catenhusen. Der damals 20-Jährige war als Grundwehrdienstleistender in der Nationalen Volksarmee in Beelitz stationiert und hat die Wende von der Kaserne aus erlebt. Während sich in Berlin die Menschen jubelnd in die Armee fielen, verbrachte er nur 50 Kilometer weiter südwestlich endlose Stunden unter Anspannung – das Ohr am Radio und die Hand an der Waffe. In der Fernsehdoku „Damals nach der DDR“ berichtet Catenhusen als Zeitzeuge über seine Wendeerlebnisse. Die vierteilige Reihe läuft demnächst im Ersten anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der deutschen Wiedervereinigung.
Catenhusen war damals erst seit einer Woche Soldat. Am Abend des 9. November saßen er und seine Kameraden vor dem Fernseher und verfolgten die Aktuelle Kamera. Dort verkündete Politibüromitglied Günter Schabowski gerade die neue Regelung, „die es jedem DDR-Bürger möglich macht, über Grenzpunkte der DDR auszureisen“. „Ohne die Übersetzung durch den Westrundfunk haben wir jedoch gar nicht verstanden, was das eigentlich bedeutete“, erläutert Catenhusen. Statt dessen drehten sich seine Gedanken um die anstehende Vereidigung. Erst am Morgen sickerten nähere Informationen durch die Kasernentore.
Für die Soldaten war es ein grauenhaftes Gefühl, eingeschlossen zu sein, Frust machte sich breit. Aber es kam noch schlimmer: Am 10. November wurde erhöhte Gefechtsbereitschaft ausgelöst und die Waffen verteilt. Einige wandten ein, dass sie noch nicht einmal vereidigt worden waren und noch nie eine Waffe in der Hand gehabt hätten. Es hieß, wenn es drauf ankäme und sie nach Berlin zum Einsatz fahren müssten, würden sie notfalls auf dem Lastwagen einen Schnelldurchgang an der Maschinenpistole bekommen. Es kam glücklicherweise nicht dazu: Die Soldaten blieben an ihren Standorten, Politbüro und Zentralkomitee der SED traten am 3. Dezember endgültig zurück.
In der Beelitzer Kaserne jedoch blieb die Lage angespannt. Am Neujahrstag 1990, nur sechs Wochen später, probten die Soldaten den Aufstand für humanere Bedingungen in der Nationalen Volksarmee. Der zündende Funke war eine rauschende Silvesterparty im Offizierskasino, während den Mannschaften selbst die Bitte nach einer Flasche Wein pro Stube abgeschlagen wurde. Der Protest kam ins Rollen: Während die Hälfte der Belegschaft in Urlaub war und die Offiziere betrunken, versammelten sich 300 Soldaten und Unteroffiziere vor der Kaserne. Sie hissten ein Banner mit der Losung „Wir sind auch Menschen“ und stellten Forderungen unter anderem nach kürzeren Wehrdienstzeiten, freien Ausgangsbereichen und grundlegend neuen Dienstvorschriften.
Im Buch „Beelitzer Wendejahre“ hat Pfarrer Wolfgang Stamnitz seine Erinnerungen festgehalten. Er wurde damals als Vermittler vor die Kaserne gerufen. „An beiden Straßenseiten und der Einfahrt brannten Kerzen. Lagerfeuer loderten bei Minusgraden“, schildert er seine Eindrücke. In der Stadt wurde schnell Hilfe mobilisiert: Da sich die Soldaten aus Angst vor der Verhaftung nicht in die Kaserne trauten, mussten Lebensmittel gesammelt werden. „Es gab zwei gefährliche Momente“, schildert Wolfgang Stamnitz weiter. „Plötzlich zog ein Offizier die Dienstwaffe. Was wäre wohl geworden, wenn er nicht sofort entwaffnet worden wäre!“ Der zweite Moment war, als die Schlüssel zu den Waffenkammern seitens der Offizieren eingefordert wurden. Ratlosigkeit unter den Soldaten: Was sollten sie tun? „Schlüssel am Mann behalten, meine Antwort“, berichtet der Pfarrer.
Letztendlich musste Verteidigungsminister Theodor Hoffmann persönlich nach Beelitz kommen und Zugeständnisse machen. Seine Zeit war längst abgelaufen, schon bald wurde die NVA in die Bundeswehr integriert. Die Soldaten leisteten ihren Grundwehrdienst zu Ende, so auch Hanns-Christian Catenhusen, der später Jura studiert und eine Familie gegründet hat, mit der er heute in Berlin lebt. Angesprochen auf den Mauerfall sagt er: „Ich wurde darum betrogen, ich konnte nicht feiern.“ Stattdessen berichtet er immer wieder in den Medien wie es tatsächlich war, „damals nach der DDR“.
Die Doku „Damals nach der DDR“ läuft am 13., 20. und 27. September sowie am 4. Oktober um 21 Uhr im Ersten.
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