Von Thomas Lähns: Um Haaresbreite
Eine Baumkrone hat Feuerwehrfrau Stephanie Honal schwer verletzt. Ans Aufhören denkt sie aber nicht
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Beelitz - Ihre Kameraden können schon wieder Witze machen. Wenn Stephanie Honal auf ihren Stützen durch das Gerätehaus läuft, heißt es: „Da kommt ja die Krücken-Elli“, oder „Geht’s nicht schneller?“ Mit einem Lächeln wischt die 23-Jährige die Kommentare beiseite und stelzt tapfer weiter. Sie weiß, dass die ironischen Sprüche ein Zeichen der Erleichterung sind – darüber, dass die junge Feuerwehrfrau noch am Leben ist. Denn viel hätte nicht gefehlt, als bei einem Einsatz vor vier Wochen eine Baumkrone auf sie herabgestürzt war. Nur ein paar Zentimeter, und die Last hätte sie erschlagen. Erst jetzt ist Stephanie Honal aus dem Krankenhaus gekommen.
In der Beelitzer Feuerwehr hat es einen so schweren Unfall noch nie gegeben, wie Stadtwehrführer Wilfried Allenfort weiß. Dennoch gehöre das Risiko für seine Leute dazu. Der Fall zeigt, dass der Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr nicht nur anspruchsvoller, sondern auch gefährlicher geworden ist: Längst geht es nicht mehr nur darum, kleinere Feuer zu löschen oder Katzen vom Baum zu holen. Die Ehrenämtler retten Menschen aus brennenden Häusern, schneiden Schwerverletzte aus Autowracks oder schützen die Bürger vor Wetterschäden – und setzen dabei ihre Gesundheit aufs Spiel.
Sind 1996 landesweit noch gut 600 Freiwillige Kameraden im Dienst verletzt worden, waren es 2008 schon knapp 1000, heißt es seitens der Feuerwehr-Unfallkasse Brandenburg. Hinzu kommen die seelischen Belastungen, wenn man im Einsatz mit dem Tod konfrontiert wird oder einfach nur Privat- und Berufsleben mit der Berufung vereinbaren muss. Immerhin: Die Kommunen haben längst erkannt, was ihre Feuerwehrleute leisten, und statten sie aus, so gut sie nur können. Erst im vergangenen Jahr hat die Stadt Beelitz für 120 000 Euro neue Schutzausrüstung für jeden der 240 aktiven Feuerwehrleute angeschafft. Der neue Helm hat Stephanie Honal vielleicht das Leben gerettet.
Es war der erste Einsatz im neuen Jahr. Am Morgen des 2. Januars wurde die Ortswehr Fichtenwalde alarmiert, um einen Baum zu sichern, der auf ein Wochenendhaus zu fallen drohte. Per Motorwinde und Seil sollte die Kiefer, die sich unter der Last frischer Schneemassen neigte, in eine andere Richtung gelenkt werden. Auf einer selbst stehenden Schiebeleiter stieg einer der Wehrleute zur Baummitte, um eine Schlinge um den Stamm zu legen, während Stephanie Honal und ein weiterer Kamerad die Leiter festhielten. Plötzlich ein Knall: Die Baumkrone brach auf halber Höhe ab und sauste in die Tiefe. Statt instinktiv zur Seite zu springen, umklammerte Stephanie Honal die wankende Leiter, um ihren Kameraden vorm Absturz aus 13 Metern Höhe zu schützen. Ihr Verantwortungsgefühl triumphierte über den Selbsterhaltungstrieb.
„Ich habe nur noch verschwommene Erinnerungen an das, was dann passierte“, berichtet Honal. Vor Schmerzen soll sie permanent geschrien haben. Erst der Notarzt konnte sie mit Schmerzmitteln ruhig stellen und für den Transport ins Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum vorbereiten. Dort stellten die Ärzte mehr als ein halbes Dutzend verschiedener Verletzungen fest: Speichendurchbruch im Arm, Schienenbein-Fraktur und Kreuzbandriss im rechten Bein, umgeknickte Schneidezähne, ein gebrochenes Nasenbein, eine gerissene Sehne im Daumen, ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma sowie innere Verletzungen. Ihre beiden Kameraden hatten mehr Glück: Der auf der Leiter konnte sich am Baumstamm festhalten und blieb unverletzt, dem anderen wurde der Daumen gequetscht. Das Ferienhaus verfehlte der Baum um Längen.
Stephanie Honal wird erst in einigen Wochen wieder völlig genesen sein. Für sie ist das nicht nur eine medizinische, sondern eine existenzielle Frage. Ihr Chef habe durchblicken lassen, dass sie sich einen neuen Job suchen müsse, wenn sie zu lange weg bleibt. Die 23-Jährige arbeitet als medizinisch-technische Angestellte in einer Arztpraxis, ist noch in der Probezeit. Zurzeit besucht sie die Physiotherapie und ist schon froh, dass sie ihr Bein wieder um einige Grad bewegen kann. Auch wenn die Unfallkasse sämtliche Behandlungen zahlt und Feuerwehrleute bei Berufsunfähigkeit Rente oder Pflegegeld bekommen, sind sie gegen die Kündigung nicht gefeit.
Und trotzdem kräuselt Stephanie Honal die Stirn, als hätte sie die Frage nicht verstanden. „Ob ich weitermache? Natürlich – aber erstmal nicht bei Einsätzen!“ Dabei klopft sie auf ihre Beinschiene, als wollte sie hinzufügen, „... so lange die noch dran ist“. In ihren Augen war der Unfall einfach Pech. „Bei so vielen Dachstuhl- oder Kellerbränden sind wir mit heiler Haut wieder rausgekommen“, erinnert sie sich. Auch Stadtwehrführer Allenfort unterstreicht, dass beim Einsatz am 2. Januar keine Fehler gemacht wurden.
Entbehren könnte die Beelitzer Wehr Stephanie Honal ohnehin nicht – aus dienstlicher und menschlicher Sicht. Als Atemschutzgeräte-Trägerin stürmt sie mit der 20-Kilo-Montur furchtlos rauchdurchflutete Räume, als Stadt-Jugendwartin spielt sie die zentrale Rolle bei der Nachwuchs-Ausbildung. 2003 ist sie als erste Frau in die Fichtenwalder Feuerwehr eingetreten und hat Nachahmerinnen gefunden.
Der Unfall hat die Truppe enger zusammengeschweißt – was sich auch in den saloppen Kommentaren der Kameraden zeigt. Eigentlich sind sie unermesslich stolz auf ihre „Krücken-Elli“.
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