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KulTOUR: Viel Spektakel, wenig Theater
Wandertheater Ton und Kirschen brachte „König Ubu“ im Lendelhaus Werder auf die Bühne
Stand:
Werder (Havel) - Nun ist Alfred Jarrys „König Ubu“ in Werders Lendelhaus doch etwas anders geworden. Das Wandertheater Ton und Kirschen brachte diese clowneske Burleske, burleske Clowneske, das Grand Guignol oder wie immer man den Original-Wurf von 1896 bezeichnen möchte, am Freitag auf dem insularen Freigut Werder vor ausverkauftem Hause zur Premiere.
Ubu, der in David Johnstons Gestalt angeblich viel von den Pfuinanzen versteht, juckt sein Machtinstinkt sehr. Mit dem Ruf „Bereichert euch!“ und Kraft des käuflichen Hauptmanns Bordure will er seinen Freund, den regulären König der Polen, stürzen und töten, um an dessen Reichtümer zu gelangen – was auch geschieht. Er bringt in hübscher Szene den Adel um, besteuert das Volk doppelt, bis Widerstand und Aufruhr sich regen. Später wird der unberechenbare Halunke in seinem schlampigen Unterzeug sogar gegen den russischen Zaren ziehen, aber bei dem hat sich inzwischen der geprellte Bordure (Nelson Leon) eingekratzt. Der Zuschauer bekommt einen tollen „Russlandfeldzug“ zu sehen, die Flucht und Wiedervereinigung mit seiner Mutter Ubu (Margarete Biereye), um dann Richtung Frankreich zu segeln, dort will er Pfuinanzminister werden, ziemlich pfuinanz-aktuell!
Wo man ihn an diesem fast zweistündigen Abend (Werders Kulturelite fehlte fast ganz) lässt, ist Ubu ein Großmaul, eigensüchtig, gewissenlos, ohne allen Skrupel. Wo er Widerstand spürt, zittert er vor feiger Furcht und flieht, so es ginge, unter den Rock seines gleichbösen Weibes. Sie stachelte ihn ja auf, den König von Nirgendwo alias Polen umzubringen! Alfred Jarry hat sich bei Figuren und Fabel aus der Weltliteratur bedient: Mutter Ubu ist wie Lady Macbeth, die Stimme aus der Polengruft zielt auf Molieres „Don Juan“, die Verschwörung erinnert anfangs auf Shakespeares „Julius Caesar“. Sogar die Trillerpfeife hat ihren eigenen Ursprung – einfach nachfragen!
Nun wollte die Doppelregie (Margarete Biereye, David Johnston) mit ihrer lebhaften und phantasievollen Inszenierung eigentlich den allgegenwärtigen inneren Schweinehund herauslassen, das Böse, das in jedem schlummert. Allein, in der fürs Ensemblem eingekürzten Fassung verliebte man sich zu oft in hübsche Spielereien und kluge Bühneneffekte, die wichtiger werden als die innere Handlung der drei tragenden Figuren, besonders die des Melone tragenden Ekels Ubu. Eingeschränkte Rezeptionsmöglichkeiten für diesen ganz auf Subversion zielenden Text. Große und kleine Pferde, Kanonendonner und Schlitten (schön: die Fluchtszene mit Thalia Heninger und Richard Henschel in Polen), fast blitzartige Verwandlungen von Szenen und Spielern, viel Publikumskontakt, dazu eine holzschnittartige Spielweise – dies beherrscht das alerte Ensemble aus dem Effeff. Aber was sollte den Zuschauer entzünden? Die Mittel doch nicht. Wo blieben Enthirnung und Größenwahn des kleinen Dicken, vor dem sich niemand fürchten muss, war er der Protagonist oder Mutter Ubu, und warum nur diese Miniatur-Drehpunkte?
Sicher wird sich das einspielen. Zur Premiere jedenfalls war der Mangel an inneren Vorgängen unübersehbar. Die Folge: Zuviel Spektakel, zu wenig Theater für die Innen-Variante der Inszenierung. Mit dem Ruf „ICH bin der Kapitän!“ entreißt der Toxoid-Gnom dem Steuermann zum Finale das Ruder. Der Kahn blubbert eindrucksvoll ab. Nanu – man dachte immer, so ein Ubu lebte in uns bis zum Ende der Welt, notfalls sogar in Frankreich...?
Gerold Paul
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