Potsdam-Mittelmark: Vom Plenarsaal auf die Kanzel
Steffen Reiche arbeitet als Pfarrer in Michendorf und bringt mit neuen Ideen Schwung ins Gemeindeleben
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Michendorf – Ein Ex-Politiker bringt zurzeit Schwung in das christliche Leben in Michendorf: Steffen Reiche, bis vor sechs Jahren Brandenburgs Bildungsminister und zuletzt SPD-Bundestagsabgeordneter, hat zurzeit eine Pfarrstelle in der hiesigen evangelischen Gemeinde. Er soll den gesundheitlich angeschlagenen Pfarrer Uwe Breithor unterstützen – und erfreut Gemeindemitglieder mit frischen Ideen. In den vergangenen Wochen hat er mit ihnen im Rahmen eines Glaubenskurses Fragen rund um die Kirche diskutiert und dabei viel Zuspruch erfahren. Am Dienstag startete mit den ökumenischen Sommerabenden nun ein neuer Zyklus, der gemeinsam mit der katholischen Gemeinde St. Cäcilia organisiert wird.
Bis Ende August gibt es jeden Dienstagabend nach einer Andacht Diskussionsrunden. Die Themen reichen von der „Symbolik der Architektur“ in Kirchenbauten (13. Juli) über die „Freiheit des Christenmenschen“ (3. August) bis hin zum sexuellen Kindesmissbrauch in der Kirche und der Frage „Warum wurde so lange geschwiegen?“ (24. August). Zu den Themen werden auch Experten eingeladen. Im Anschluss sollen die Abende immer unter freiem Himmel bei Gegrilltem ausklingen. „Das ist eine gute Gelegenheit für unsere Gemeinden, Präsenz zu zeigen“, lobte Pfarrer Hoffmann die Idee seines Amtskollegen.
Reiche ist nur vorübergehend in Michendorf eingesetzt und wird bis September bleiben. Danach will der 50-Jährige eine Pfarrstelle in Berlin übernehmen, sagte er den PNN. Ein politisches Amt sei für ihn derzeit kein Thema: „Ich bin nach Hause zurückgekehrt“, so Reiche. Denn bis zur Wende arbeitete er als Pfarrer in Christinendorf (Trebbin). 1989 gehörte er zu den Gründern der Sozialdemokratischen Partei der DDR und war bis vor zehn Jahren Chef der märkischen SPD. 2009 hatte er sein Bundestags-Direktmandat in Cottbus an die Linken verloren.
Dass es für Debatten keines politischen Plenums bedarf, zeigten Reiche und Hoffmann am Dienstagabend. Sie hatten sich die Aufgabe gestellt, die Konfession des jeweils anderen in zehn Minuten zu beschreiben. Einerseits die lange Tradition der katholischen Kirche, welche die christliche Lehre in sämtliche Winkel der Welt getragen hat und die sich durch eine gewisse Ernsthaftigkeit und Strenge auszeichnet (Reiche). Andererseits die Freiheit des Geistes der evangelischen Kirche, in der „jeder sein eigener Papst ist“, in der die Predigten aber auch mal länger dauern können (Hoffmann). Für kritische Fragen sorgten die Gäste: Sie hakten nach, ob eine Ökumene, also der Dialog der Konfessionen, überhaupt möglich ist. Denn der Vatikan erhebt nach wie vor den Anspruch, alleinige Stimme der Christenheit zu sein.
Auch die Themen Sexualität und Verhütung und die strenge Hierarchie der katholischen Kirche sowie die Frage der Gleichberechtigung wurden diskutiert. „Es gibt Priester und Bischöfe, die lebensnah denken“, sagte Frank Hoffmann, doch die würden sich im Vatikan nicht in den Vordergrund trauen. Pfarrer vor Ort hingegen seien in erster Linie ihrem Gewissen verpflichtet. Auch evangelische Traditionen wurden kritisch hinterfragt. „Wie tolerant ist es denn, wenn das Abendmahl nur an jene gespendet wird, die auch konfirmiert sind?“, fragte einer der Anwesenden.
Am Ende zeigte sich, dass der ökumenische Gedanke funktioniert. „Uns alle verbindet mehr als uns trennt“, bemerkte Reiche über die beiden Kirchen. Vor allem sei dies die Tatsache, in einer gemeinsamen Welt zu leben. Thomas Lähns
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