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Die Natur hält wieder Einzug: Seit der Wende entwickeln sich die „Ungeheuerwiesen“ zwischen dem Königsgraben und der Fresdorfer Heide allmählich zum Moor zurück. Der Prozess soll beschleunigt werden – denn Moore binden Kohlendioxid, filtern und speichern Wasser und können zur Biomassegewinnung genutzt werden.

© Peter Koch

Potsdam-Mittelmark: Vom Seelenfänger zum Klimaretter

Die „Ungeheuerwiesen“ bei Tremsdorf werden wieder zum Moor. Für den Menschen ist das von Nutzen

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Nuthetal - Moore – seit jeher sind sie geheimnisvolle Orte, um die sich viele Sagen ranken. Auch zu den „Ungeheuerwiesen“ zwischen Königsgraben und Fresdorfer Heide ist eine überliefert: Abseits der Siedlungen, unter einer Eiche, soll hier einst ein Wirtshaus gestanden haben. Die Tremsdorfer, die schon damals keine eigene Kirche im Ort hatten, mussten sonntags zum Gottesdienst nach Fresdorf pilgern. Auf dem Rückweg erlagen manche von ihnen der Versuchung und kehrten in die Schenke ein – um am Tag des Herrn genussvoll zu zechen. Irgendwann aber war das Maß voll: Das Haus versank mitsamt der Sünder auf Nimmerwiedersehen im Moor.

Die Sage vom „Versunkenen Krug“, die der Stückener Heimatverein recherchiert hat, liefert eine zentrale Erkenntnis – neben jener, dass Alkoholgenuss das Seelenheil gefährdet: Sie kündet davon, wie feucht die Wiesen hier einst waren. Vor allem durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung zu DDR-Zeiten hat sich das jedoch grundlegend geändert: Von den 280 000 Hektar Moorfläche auf dem Gebiet des Landes Brandenburg Anfang der 1960er Jahre sind heute nur noch 210 000 Hektar übrig, erklärt Lukas Landgraf, der beim brandenburgischen Landesumweltamt für den Moorschutz zuständig ist. Durch den Einsatz schwerer Technik verdichtete sich der Boden, über Meliorations-Gräben wurde das Wasser abgeführt. Von den heute 30 000 Kilometern des märkischen Gewässernetzes sind 25 000 Kilometer einst künstlich angelegt worden.

In der Nuthe-Nieplitz-Niederung wurden nach der Wende die Pumpwerke abgestellt, und durch steigendes Grundwasser begannen die hiesigen Moore, sich auf natürlichem Wege zu erholen – so auch in den Feldfluren bei Tremsdorf. Gern würden Landesumweltamt und der Förderverein Nuthe-Nieplitz-Niederung diesen Prozess beschleunigen. Jetzt ist eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben worden, wie der Moorbestand gerettet und künftig genutzt werden kann. Denn Moore, sagt Lukas Landgraf, sind nicht nur enorme Wasserspeicher und –filter und deshalb wichtig für Brandenburg. Sie können im Vergleich zum Wald auch das Vierfache an Kohlendioxid speichern.

Das Thema ist derzeit in aller Munde. Erst im Frühjahr haben die Flächenagentur Brandenburg GmbH und ein örtlicher Agrar-Betrieb den ersten Abschnitt der Beelitzer „Grenzelwiesen“ wiedervernässt und damit der Natur rund 16 Hektar Moor zurückgegeben (PNN berichteten). Gestern nun hat die Landtagsfraktion der Linken gefordert, dass die Landesregierung ein „Programm zur Nutzung und zum Schutz der Moore Brandenburgs“ entwirft. Ein entsprechender Antrag soll noch diesen Monat eingebracht werden, hieß es. Laut den Linken seien von den 210 000 Hektar Moor im Land nur noch 3000 tatsächlich intakt.

Allein im Bereich Königsgraben zwischen Körzin und der Mündung in die Nuthe gibt es 600 Hektar Niedermoor mit einer Mächtigkeit von wenigen Dezimetern bis zu 12 Metern. Entstanden sind sie aus dem riesigen „Ur-Blankensee“. Das aktuelle Problem: Wenn sich Moore zurückbilden, werden sie vom Klimaretter zum Klimakiller. Denn im Prozess der Mineralisierung geben entwässerte Moore das klimaschädliche Kohlendioxid an die Atmosphäre wieder ab. Die Mengen, die zurzeit bei Luftzufuhr „veratmet“ werden, würden in Brandenburg die Emissionen des Straßenverkehrs übersteigen: 6,4 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr würden allein aus den Mooren entweichen. Dem müsse man Einhalt gebieten.

Doch zwischen der Natur und den Menschen gibt es Interessenkonflikte: Immer wieder hatten Tremsdorfer in der Vergangenheit über nasse Keller geklagt. Immerhin: Ein seit 2001 vorliegendes Gutachten weist nach, dass es keinen „geohydrologischen Zusammenhang“ zwischen dem allmählich steigenden Wasser in der Niederung des Königsgrabens und den Tremsdorfer Kellern gebe. Das dortige Wasser sei vielmehr „niederschlagsabhängiges Schichtenwasser“. Das heißt: Bei starken Regenfällen fließt wegen der dichten Bodenschichten unter dem Dorf das Wasser langsamer ab.

Auch die neue Studie soll die Vernässungserscheinungen im Ort nochmals gezielt untersuchen, „um einen vertretbaren Kompromiss zwischen dem Moorschutz und den begründeten Interessen der Tremsdorfer zu finden“, erklärt Peter Koch vom Nuthe-Nieplitz-Förderverein. Er unterstreicht, dass dieses Projekt auch für die Nutzer der hiesigen Wiesen eine Chance sein kann – nur müssten betroffene Landwirte ihre Methoden langfristig umstellen. Jahrzehntelang wurde der Wasserstand im Sommer abgesenkt, damit die Bauern zur Mahd auf die Wiesen kommen. Das wäre dann künftig nicht mehr möglich. Aber es gibt Alternativen zur konventionellen Grünlandbewirtschaftung. Das Schlagwort heißt „Paludikultur“ und bezeichnet eine integrierte Nutzung der Moore als CO 2-Speicher, Wasserregulator – und zur Gewinnung von Biomasse, wie Hans Joosten, Professor an der Universität Greifswald erklärt. „Moorentwässerung jedenfalls ist nicht mehr zu verantworten“, so der Experte.

Als Biomasse können zum Beispiel Schilfe geerntet und zu Pellets, Briketts und Silage für die Energiegewinnung genutzt werden. Das werde bereits in mehreren Bundesländern getestet und von Landwirten erfolgreich praktiziert, so Lukas Landgraf vom Landesumweltamt. Selbst die Haltung von Wasserbüffeln sei in Mooren möglich. Die unterirdische Biomasse dagegen bilde neuen Torf, der das Wasser hält – und das sei das oberste Ziel. „Hier lohnt es sich, aktiv zu werden“, findet Peter Koch. Für die Nuthe-Nieplitz-Niederung sei es wünschenswert, wenn sich Moorschutz und -nutzung miteinander verknüpfen ließen. Und für Brandenburg wäre es richtungweisend.

Bei all den Optionen, die es für die „ungeheuren Wiesen“ – so der alte Name – gibt, wird eine wohl auch künftig ungenutzt bleiben: Ein Wirtshaus wird hier sicher niemand mehr eröffnen.

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