Potsdam-Mittelmark: Vom „Speckbunker“ zum Tresor der Geschichte
Stasi? SED? NVA? Jahrelang wurde in Ferch über eine rätselhafte Bunkeranlage spekuliert. Jetzt brachte der Heimatverein Licht ins Dunkel
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Stasi? SED? NVA? Jahrelang wurde in Ferch über eine rätselhafte Bunkeranlage spekuliert. Jetzt brachte der Heimatverein Licht ins Dunkel Von Thomas Lähns Schwielowsee · Ferch - Das größte Geheimnis des kleinen Dorfes Ferch befand sich schon immer am Ortsausgang: Ein karg-weißer, eingeschossiger Plattenbau in der Bungalow-Siedlung an der Beelitzer Straße, weit ab „vom Schlag“ und fast schon im Wald. Das Haus erinnert an eine vergessene DDR-Ferieneinrichtung, ein FDGB-Heim oder eine Jugendherberge. Nur die breite Einfahrt hinunter in den Keller macht misstrauisch, wie auch der ein Meter hohe Hügel im Garten, auf dem ein weiteres kleines Gebäude thront. Zu DDR-Zeiten wagte niemand, laut darüber zu sprechen, aber jeder stellte eigene Theorien auf: Staatssicherheit, SED oder sogar Armee könnten hier ihr Lager aufgeschlagen haben. Ein Schild am Eingang mit der Aufschrift „Staatliche Archivverwaltung - Dienststelle Ferch“ ließ Raum für viele Spekulationen. 14 Jahre nach der Wende kann damit aufgeräumt werden. Endlich ist klar, was hier passierte: In Ferch lagerten Dokumente aus tausend Jahren Deutscher Geschichte. Das Kulturforum Schwielowsee hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geheimnisse des heute verlassenen Geländes in der Beelitzer Straße zu ergründen. Am Freitagabend trafen sich die Heimathistoriker um Helga und Heinz Schmiedel mit den ehemaligen Verantwortlichen für diese Anlage. „Mit der Stasi hat das nichts zu tun gehabt“, berichtet der letzte Verwalter der Anlage, Fred Köhler, heute. Und dennoch: das Grundstück war seit den frühen 70ern dem Ministerium des Innern zugeordnet. Für die Erklärung holt Köhler etwas weiter aus: 1974 war die DDR der Haager Konvention beigetreten, ein Abkommen westlicher Industrieländer zur Sicherung von Kulturgut. Schriften, Karten und Urkunden sollten demnach erhalten werden – geschützt vor dem Verfall, dem Vergessen und sogar einem Atomkrieg. Bei den historisch wertvollen Schätzen in Ferch handelte es sich um 22 Millionen Fotonegative, aneinander gereiht auf Rollen mit einer Gesamtlänge von 300000 Metern. „Die Originale befanden sich wohl in Moskau“, vermutet Köhler. Von der ersten Kaiserverfassung über Schriften aus dem 30-jährigen Krieg bis hin zum Versailler Vertrag wurden die Hoch- und Tiefpunkte einer Nation auf 16 Millimeter festgehalten und gelagert. Einige Fercher konnten sich damals noch erinnern, dass unter dem großen weißen Haus mit der Glastür der „Speckbunker“ liegt, ein Relikt noch aus der Vorkriegszeit. Nach 1945 wurden hier in den Sommermonaten Lebensmittel gelagert, danach hatte das Dachziegelwerk Rusch & Sohn den Bau übernommen. 1952 räumten die Handwerker das unterirdische Bauwerk. Knapp 20 Jahre später entstand hier die Archivverwaltung. Aber was bedeutete das? Genaueres erfuhr damals niemand. Die Nachbarn haben noch die Bauarbeiten auf dem Grundstück Anfang der 80er Jahre im Gedächtnis, als ein großer Kran die Erde aushub. Bei einem verlegenen Blick über den Zaun offenbarte sich eine 14 Meter tiefe Grube. Weil der Platz nicht mehr ausreichte, wurde neben dem Speckbunker ein weiterer gebaut, mit dicken Wänden aus Stahlbeton. 1981 kam Fred Köhler nach Ferch. Zuvor war er Leiter der Mordkommission in Potsdam, sein Spezialgebiet: Film- und Fototechnik. Mit gemischten Gefühlen denkt er an die Zeit am Schwielowsee zurück: „Es war nicht einfach. Wir durften kaum Besuch empfangen.“ Die Fercher beobachteten die neuen Nachbarn argwöhnisch. Dann kam die Wende, plötzlich standen Leute vor der Tür, wollten das so streng gehütete Geheimnis lüften. Er sei regelrecht belagert worden. Erst mit der Wiedervereinigung durfte Köhler sein Schweigen brechen und mit den Vorurteilen aufräumen. Die Aufgabe Köhlers und seiner sieben Mitarbeiter war die Kontrolle der Filmrollen. Auf zwei Etagen, jede 400 Quadratmeter groß, lagerten die Filme in Schränken mit motorbetriebenen Türen. In die unterirdische Anlage gelangte man zum Einen durch den alten Speckbunker, zum Anderen gab es einen Fahrstuhl: Das unscheinbare Häuschen auf dem Hügel ist der Zugang. Im Verwaltungsgebäude wurden die Filme katalogisiert, jedem eine Karteikarte zugeordnet. Darüber hinaus mussten Dokumente hin und wieder dupliziert werden, so zum Beispiel Schriften aus dem Dritten Reich, die in späten Prozessen als Beweise gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher verwendet wurden. Fred Köhler hätte sich etwas mehr Öffentlichkeit gewünscht. Gleich nach der Wiedervereinigung betrieb er Aufklärungsarbeit, hielt Dia-Vorträge in Ferch und Umgebung, berichtete in Schulen über seine Arbeit. Gab es bei dem umfangreichen Einblick, den er in die Geschichte hatte, eine Lieblingslektüre? Er habe zwar kaum Zeit zum Schmökern gehabt, „aber ich kann mich noch genau an die Tagebücher von Joseph Goebbels erinnern“ – brisanter Lesestoff nicht nur in der DDR. In den Augen von Wolfgang Blöß ist die Geheimniskrämerei nicht verwunderlich, er war jahrelang leitender Mitarbeiter im Innenministerium, dem der Fercher Bunker zugeordnet war. „Es herrschte eine erbarmungslose Geheimhaltungsordnung“, erinnert er sich. Seit 1964 hat sich die DDR daran gemacht, Kriegsverbrechern aufzuklären, „aber irgendwann war Schluss, viele Akten haben die Briten und Amerikaner nach dem Krieg mitgenommen und verkauft - aber nicht an die DDR“. Auf „verschlungenen Wegen“ habe man sich die Dokumente besorgt und in Ferch kopiert. „Die Fähigkeiten der CIA haben nicht ausgereicht, um herauszufinden, wie uns das gelang.“ Die Nutzung des Bunkers nach dem Krieg ist also geklärt, im Juli soll dazu der erste Band einer Schriftenreihe mit dem Titel „Wahre Geschichten“ erscheinen. Die Entstehung des alten „Speckbunkers“ bleibt aber weitgehend rätselhaft. Einzige Erklärung für Wolfgang Blöß: „Vermutlich sollten hier während der Naziherrschaft Waffen und Munition gelagert werden, falls das Land von den Alliierten überrannt wird.“ Die gesamte ehemalige DDR sei von solchen Bunkern übersät, ein weiterer befände sich in Geltow, auf dem Franzensberg. Ein weiteres Mysterium, das es zu ergründen gilt.
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