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Potsdam-Mittelmark: Vorurteile über Bord

Auszubildende und Politiker diskutierten am OSZ über Berufsperspektiven in Europa

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Teltow - Europapolitik ist offenbar nicht sexy für viele Schüler des Oberstufenzentrums Teltow. „Fußball interessiert mich einfach mehr“, fasst es einer der Azubis, die am Montag an einem Projekttag für berufliche Perspektiven junger Fachkräfte in Brandenburg und Europa teilnehmen, zusammen. Dass das Haus an der Potsdamer Straße ab 1999 mit Fördermitteln der EU umgebaut, wurde, wissen die meisten nicht. Insgesamt 18 Millionen Euro stecken in dem Bau, in dem derzeit 1252 Schüler in insgesamt 17 Berufen ausgebildet werden.

Lehrerin Elke Buresch fragt sich trotzdem weiter durch die Reihen, sie weiß, dass die Anfang-20-Jährigen nicht so desinteressiert sind, wie sie hier vor dem gut gefüllten Saal tun. Die Fragen, die der CDU-Europaabgeordnete Christian Ehler, Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) und Mark Tiedemann von der Firma NDB Elektrotechnik gleich diskutieren werden, haben die Jugendlichen selbst im Unterricht erarbeitet. Es geht um Auslandspraktika, Gehaltsunterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Besonders beim letzten Punkt zeigt sich schnell, dass die Schüler sehr wohl politisch denken – wenn es sie selbst betrifft. Ein junger Vater fragt, wie er von seinem Lehrlingsgehalt einen Kita-Platz für 250 Euro finanzieren soll. „Die Nebenkosten sind einfach zu hoch, auch die Benzinpreise drücken auf das schmale Budget der Lehrlinge, die in Brandenburg oft weite Strecken mit dem Auto zurücklegen müssen.“ Viele Ausbildungsbetriebe würden die Lehrlinge zudem als billige Arbeitskräfte einstellen, die Ausbildung komme dabei oft zu kurz, kritisiert ein anderer. „Die Betriebe sollten zertifiziert werden“, fordert deshalb der junge Kfz-Mechatroniker Lars Krüger.

Langsam wird klar: Europa geht alle hier im Saal an, auch wenn von den EU-Fördergeldern bei der Stadt selbst kaum etwas ankommt. Der Schwerpunkt im Land liege bei den finanziellen Zuschüssen nicht in Teltow, erklärte Schmidt. „Uns geht es mittlerweile mit einer Arbeitslosenrate von weniger als fünf Prozent zu gut.“ Das Problem, dass gut ausgebildete Fachkräfte abwandern, bleibe bestehen, obwohl es genug Arbeitsplätze vor Ort gebe, so Schmidt. Gerade Handwerksberufe litten an einem Imageproblem, so Tiedemann. „Mittlerweile haben wir für fünf Stellen nur noch zehn Bewerber, allzu kritisch können wir da nicht mehr sein.“ Die Betriebe müssten sich aber auch selbstkritisch fragen, wie gut die Bedingungen seien, die sie den jungen Menschen bieten. Bei einer spontanen Umfrage unter den Zuhörern wird klar, dass sich die Azubis ihre Zukunft nicht von Heimatverwurzelung verbauen lassen wollen: Auf die Frage, wer bereit sei für einen besser bezahlten Job in ein anderes Bundesland zu ziehen, hebt fast die Hälfte die Hand.

Mit dem europäischen Ausland haben die meisten keine Berührungsängste – auch wenn bisher lediglich zwei Prozent aller Auszubildenden ein Auslandspraktikum machen. Das aber steht seit 2005 jedem Lehrling zu – sofern der Ausbildungsbetrieb einverstanden ist. Die EU finanziert den Austausch etwa über die Leonardo-Stipendien. Der Kfz-Mechatroniker Patrick B. hat es ausprobiert – er ging für einige Wochen zur BMW-Niederlassung nach Lodz. Weil er mit Polnisch als zweite Muttersprache aufgewachsen ist, kann er sich gut vorstellen, dort später auch zu arbeiten – ein Angebot von seinem Praktikums-Chef hat er bereits. Allzu negativ sollten seine Mitschüler die deutsche Ausbildung nicht betrachten, „im Ausland ist die hoch angesehen“. Vorurteile, die es ja immer auf beiden Seiten gebe, werfe man schnell über Bord, wenn man zusammenarbeite.

Lust auf ein wenig Auslandserfahrung haben nach dem Forum die meisten Schüler im OSZ, aber nicht alle trauen sich einen Austausch zu. „Mein Englisch ist einfach zu schlecht“, fürchtet Lars Krüger, andere wollen ihren Freund oder ihre Freundin nicht für drei Wochen alleine lassen. „Aber es lohnt sich“, ermuntert sie Elke Buresch. Ariane Lemme

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