
© W-Film, Marek Schaller
Seddiner See: Weniger Essen in die Tonne
In Neuseddin diskutieren Experten, wie man die Lebensmittelverschwendung verringern kann. In Frankreich gibt es dafür Gesetze.
Stand:
Seddiner See - Hundert Millionen Tonnen Lebensmittel für die Tonne. So viel Obst, Käse und Fleisch werden jedes Jahr in der Europäischen Union weggeschmissen. „Um diese weggeworfenen Lebensmittel anzubauen, braucht man eine Fläche so groß wie China“, verdeutlicht Susanne Melior am Freitagmorgen in der Heimvolkshochschule Seddiner See. Die SPD-Europaabgeordnete, die im Umweltausschuss und stellvertretend im Landwirtschaftsausschuss sitzt, hatte gemeinsam mit dem Pfarrer Martin Vogel unter dem Motto „Vom Feld in die Tonne“ zur Diskussionsrunde geladen.
„Allein in Deutschland werden jährlich 15 Millionen Tonnen Essen weggeschmissen“, konkretisiert Valentin Thurn. Der Filmemacher und Gründer von Foodsharing e.V. hatte 2011 den Film „Taste the Waste“ zur globalen Lebensmittelverschwendung gedreht, von dem den mehr als hundert Besuchern am Freitag Ausschnitte gezeigt wurden. „Fast 40 Prozent der Erderwärmung sind auf die Ernährung zurückzuführen, da geht enorm viel verloren“, so Thurn. Der vernünftige Umgang mit Lebensmitteln sei daher auch für den Klimaschutz wichtig.
Von den Dreharbeiten bewegt, hat Thurn die Organisation Foodsharing e.V. gegründet: Inzwischen sammeln 22 000 Freiwillige Lebensmittel von Supermärkten ein und verteilen sie gratis an Sammelpunkten, den „Fairteilern“. Zwei Jahre später habe er bei den Dreharbeiten zum Film „Weniger ist mehr“ auch erlebt, dass inzwischen auch andere Menschen die Initiative ergreifen und sparen. Thurn zeigt Ausschnitte etwa aus einem bayerischen Wirtshaus, das nur noch halbe Haxen serviert und auch andere Fleischportionen verringert hat, damit auf den Tellern nichts mehr übrig bleibt. Ergebnis laut Wirt: Pro Woche werden zwei Spanferkel eingespart.
Solche Veränderungen von unten aus der Gesellschaft seien zwar schön, sagt Jürgen Kropp vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Sie sind aber auch das, was am längsten dauert, und dauern deutlich zu lang!“ Allein die Landwirtschaft sei für 22 Prozent aller Kohlendioxid-Emissionen der Welt verantwortlich. Wenn die Bevölkerung so weiter steigt und sich auch die Lebensstile weiter an der amerikanischen, fleischlastigen Ernährung orientieren, könnten sie noch einmal von den heutigen acht Gigatonnen im Jahr auf 18 Gigatonnen steigen. „Der Ausstoß ist nicht komplett vermeidbar, aber wir brauchen hier eine Lösung“, so Kropp.
Ein Ansatz stammt aus Frankreich: Seit Jahresanfang ist es Händlern dort gesetzlich verboten, Lebensmittel zu vernichten. Das werde auch kontrolliert, wer mehrmals erwischt wird, muss laut Anne-Sigrid Furney, Referentin im französischen Landwirtschaftsministerium, mit harten Geldstrafen rechnen. „Ab Januar müssen zudem alle Märkte Kooperationen mit einer Hilfsorganisation suchen, die die übrig gebliebenen Lebensmittel abnimmt und verteilt“, so Fumey. Die Einzelhändler können die Spenden im Gegenzug zu 60 Prozent von der Steuer absetzen und bekommen so für ihren Aufwand Geld zurück.
In Deutschland sieht Björn Fromm, Betreiber mehrerer Edeka-Märkte und Präsidiumsmitglied des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, für so eine Regelung kaum Bedarf. „80 Prozent der Edeka-Märkte in Berlin arbeiten bereits mit der Tafel zusammen“, so Fromm. Hundert Prozent werde man allein schon der gesetzlichen Regelungen wegen nicht hinbekommen: Wenn Konsumenten durch ein abgelaufenes Produkt erkranken, sei der Händler haftbar. Auch sei es schwierig, den Kunden etwa durch höhere Preise der Lebensmittel zum genaueren Einkaufen zu animieren, damit er zu Hause weniger wegwirft.
Genau so will jedoch Henrik Wendorff, Präsident des Landesbauernverbandes, dem Problem begegnen. Der Preis sei ein großer Faktor, um auch die Wertigkeit der Lebensmittel zu vermitteln. „Bei der Bildung und dem Verständnis für Lebensmittel gibt es noch großen Handlungsbedarf“, so Wendorff.
Dass es in Deutschland besserer Aufklärung im Lebensmittelbereich bedarf, glaubt auch Susanne Melior. Derzeit sei eine neue europäische Abfallrichtlinie in Arbeit, die auch gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln vorgehen soll. Die genaue Ausgestaltung stehe aber noch nicht fest. Zudem soll eine neue Etikettierungsrichtlinie dafür sorgen, dass Verbraucher Lebensmittel nicht beim Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums wegwerfen. Ziel des EU-Rates sei es, bis 2030 die Menge entsorgter Lebensmittel zu halbieren.
In Frankreich hat man sich dieses Ziel schon bis 2025 gesetzt. Wie Anne-Sigrid Fumey erklärt, werden etwa Lehrer weitergebildet, um schon Grundschüler für das Thema zu sensibilisieren. Auch in den Schulrestaurants, wo die Mehrheit der Kinder esse, werde Werbung für Lebensmittel gemacht, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Auf einem der gezeichneten Plakate stehe etwa übersetzt: „Schneewittchen hätte lieber einen Apfel mit Macken gegessen.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: