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Von Thomas Lähns: Wie der Spargel einst zur Währung wurde

Beelitz feiert in diesem Jahr zwei Jubiläen: Vor 150 Jahren wurde das Edelgemüse erstmals angebaut – und vor 20 Jahren wiederentdeckt

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Beelitz - An das erste Spargelfest nach der Wende kann sich Manfred Schmidt noch lebhaft erinnern: „Wir hatten nur 200 Kilo zu verkaufen – und die waren innerhalb weniger Minuten weg.“ Es war im Juni 1991: Die Mauer war gerade gefallen und die älteren Westberliner konnten sich auch nach Jahrzehnten der Abstinenz noch an den Geschmack des Stangengemüses aus der Zauche erinnern. Die Beelitzer, die zu DDR-Zeiten nur ein paar Reihen im eigenen Garten angebaut hatten, konnten den Bedarf nicht einmal ansatzweise decken. „Mercedes-Karossen rollten scharenweise auf die Dörfer, und jeder wollte wissen: Wo gibt es denn nun euren Spargel“, so Schmidt.

Eigentlich sind es zwei Jubiläen, die Beelitz in diesem Jahr zu feiern hat: Den ersten feldmäßigen Spargelanbau durch Glasermeister Karl Friedrich Wilhelm Herrmann vor 150 Jahren – und die Renaissance des „Weißen Goldes“ nach der Deutschen Wiedervereinigung vor 20 Jahren. An der hat Manfred Schmidt einen gewaltigen Anteil: Der 62-Jährige stammt aus einer Schlunkendorfer Bauernfamilie und hat als Mitbegründer und Vorsitzender des Spargelvereins die Wiederbelebung der alten Tradition koordiniert. Die Beelitzer kennen ihn nur als „Spargel-Schmidt“, denn für ihn sind die Stangen nicht nur Nahrungsmittel und Wirtschaftsfaktor, sondern regionale Identität.

Im Spargelmuseum am Rande des Beelitzer Ortsteils Schlunkendorf erhalten die Besucher einen umfassenden Einblick in die Spargelgeschichte: Alte Fotos zeigen die Bauern bei der Arbeit und beim Verkauf oder die erste Spargelpyramide, die 1934 auf einem Pferdewegen durch Beelitz gezogen wurde. Historische Dokumente belegen, dass sogar mal jemand ein Lied über den Beelitzer Spargel geschrieben hat. In den Ecken stehen historische Ackergeräte, auf dem Hof befindet sich ein Schaubeet. Im Sommer sitzen hier Dutzende Touristen und lassen sich den Spargel in allen Variationen schmecken. Manfred Schmidt, der als Agrarwissenschaftler zu DDR-Zeiten an der Humbold-Universität gelehrt und geforscht hat, importiert und entwickelt noch heute neue Sorten.

Das Haus am Kietz 36 ist Schmidts Elternhaus. „Dort in der Ecke bin ich geboren“, sagt er stolz. Das Gebäude hat er dem Spargelverein überschrieben und betreibt es heute in dessen Namen als Museum. Lange Zeit hatte er in Potsdam gelebt und nach der Wende beim Landesumweltamt gearbeitet. Seit zwei Jahren ist er Rentner und mit seiner Frau in das Haus auf der anderen Straßenseite in Schlunkendorf gezogen. Seine Großeltern haben ihm viel über die Anfänge des Spargelbaus in der Region berichten können – Informationen, die er heute weitergibt. Wie zum Beispiel früher die Händler auf die Dörfer kamen und das Gemüse direkt angekauft haben. Oder wie 1908 die erste Absatzgenossenschaft gegründet wurde, um Preisdumping seitens dieser Händler vorzubeugen.

Die Gesamtanbaufläche lag bis zu den 1920er Jahren bei unter 400 Hektar, erst in den 1930er Jahren erweiterte sich die Zahl auf 1000 Hektar – nur etwas weniger als heute. Die Nazis hatten damals ihren „Bund Deutscher Mädel“ zu einem Landjahr verpflichtet. Der Einsatz von Erntehelfern ist grundlegend für die Spargelproduktion – noch heute, wo Tausende Saisonarbeiter aus Osteuropa Jahr für Jahr nach Beelitz pilgern. Zu DDR-Zeiten hatte es die nicht gegeben – einer der Gründe dafür, dass der Anbau zurückging. Ein weiterer Grund war die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft Anfang der 1960er und die Flucht vieler Bauern in den Westen. Nach dem Spargelfest zum 100-jährigen Jubiläum und dem Mauerbau drei Monate später war es vorerst vorbei mit der Tradition. Umso wertvoller waren die wenigen Stangen, die man sich im eigenen Garten zog: „Es war wie eine zweite Währung“, erzählt Schmidt. Brauchte man ein seltenes Ersatzteil für den Traktor, wurde mit Spargel bezahlt. Und durch den Verkauf unter der Hand ließ sich mehr Geld einnehmen als im regulären Job. Den Wert eines Trabbis pro Jahr habe er verdient, indem er morgens zwei Stunden lang Spargel stach und ihn in Berlin verkaufte, so Schmidt.

Nach der Wende kamen dann die Investoren: Bis Mitte der 1990er Jahre kämpfte der Spagelverein vor dem Münchener Patentamt gegen ein Konsortium ausländischer Firmen um den Namen „Beelitzer Spargel“. Anders verhielt es sich mit den Zuzüglern aus den alten Bundesländern wie Buschmann und Winkelmann aus Nordrhein-Westfahlen, die Jakobs-Brüder aus dem Rheinland oder Familie Simianer aus Baden-Württemberg. „Wir hatten die Tradition und den Namen, sie die Technik und die Sorten“, erinnert sich Manfred Schmidt an den Beginn der Zusammenarbeit unter dem Dach des Spargelvereins. „Pflanzmaschinen aus dem Westen kannte hier niemand – die Bauern staunten, als wäre ein Ufo auf dem Acker gelandet“, setzt er hinzu. Dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl konnte er dann auch persönlich den Vollzug der Deutschen Einheit – zumindest im Kleinen – melden: 1995 war Schmidt mit den Beelitzer Landwirten zum heute schon traditionellen Spargelessen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin eingeladen.

16 Mitgliedsbetriebe hat der Beelitzer Spargelverein heute. Es wird gemeinsam geworben und zum Teil sogar noch gemeinsam verkauft, so wie vor hundert Jahren. Mittlerweile haben die Bauern ihr Sortiment erweitert: Um Produkte wie Kürbisse, Heidel- und Erdbeeren – und um den Erlebnisfaktor. Auf fast jedem Hof kann man sich heute die Produktionsstätten ansehen oder ein Rahmenprogramm aus Konzerten und Hoffesten erleben. Und es gibt eine Spargelkönigin: Seit 1997 wird die Repräsentantin für ein Jahr gewählt. Im Spargelmuseum kann man die Galerie bestaunen. „Die Geschichte des Spargels ist bei uns wie ein Märchen verlaufen. Und dazu gehört nun mal auch eine Königin“, sagt Manfred Schmidt.

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