
© Hella Kaiser
Kloster Neuzelle: Wo man in den Himmel schauen kann
Die Reformation hat einen Bogen um Kloster Neuzelle gemacht. Mehr und mehr wurde es ausgeschmückt. Alle Pracht ist noch da.
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Groß muss seine Liebe gewesen sein – und unermesslich die Trauer um den Tod seiner Frau. Wie sollte er darüber hinwegkommen? Heinrich der Erlauchte, Markgraf der Lausitz, beschloss, ein besonderes Zeichen zu setzen. Zum Seelenheil seiner verstorbenen Agnes stiftete er im Oktober 1268 das Zisterzienserkloster Neuzelle. Mönche aus dem rund 180 Kilometer entfernten Kloster Altzella bei Meißen begannen mit dem Bau der Anlage.
Das Kloster existiert noch immer, wenn es auch heute ganz anders aussieht. Doch wie konnte es die Reformation überstehen? „Sie hat um Neuzelle gleichsam einen Bogen gemacht“, erläutert Walter Ederer, Direktor der Stiftung Stift Neuzelle. Gegründet wurde sie 1996 vom Land Brandenburg und hat sich, auch mit Fördermitteln des Bundes und der EU, dem Erhalt und der Restaurierung der großartigen Anlage verschrieben.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren die Arbeiten am Kloster beendet. Die gotische Halle war mit einem Turm nach Westen abgeschlossen, der Kreuzgang war eingewölbt. Den Alltag der Mönche bestimmten die Regeln des Heiligen Benedikt: Bete und arbeite. Der Alltag plätscherte dahin. Dann 1429 kam das Jahr des Schreckens. Die Hussiten drangen ins Kloster ein, plünderten und brandschatzten. Mönche, derer sie habhaft werden konnten, wurden auf grausigste Art gemartert und schließlich ermordet.
Jan Hus, auf den sich die Hussiten bezogen, hätte derlei Tun seiner „Anhänger“ wohl kaum gewollt. Der böhmische Reformator, auf dessen Lehren sich Martin Luther später zu großen Teilen bezog, hatte die Verweltlichung der Kirche, die Habsucht des Klerus und das Lasterleben der Priester angeprangert. Wie später Luther, wurde Jan Hus mit dem Kirchenbann belegt. Auch er, dessen Nachname auf Tschechisch „Gans“ heißt, widerrief seine Lehren nicht – und wurde 1415 in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Seinen Gegnern soll Hus gesagt haben: „Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan entstehen.“
Nach dem Tod Luthers wurde dieses Tier immer wieder als Symbol verwendet. Es findet sich auf Bibeln, in Gesangbüchern und auf Trinkgefäßen. Kirchturmspitzen wurden damit geschmückt. Auch in Brandenburg gibt es ein Beispiel dafür: auf der Kirchturmspitze in Ribbeck im Havelland ist die Silhouette eines Schwans befestigt.
Während rundherum Klöster säkularisiert wurden, blieb Neuzelle unangetastet. Es wurde gleichsam zum Fels in der Brandung. Selbst der katholische Landesherr wollte den Untergang des Klosters – um es zu verpfänden. Es klappte nicht. Neuzelle wurde zur Keimzelle der Gegenreformation. „Katholiken mögen diesen Begriff nicht“, sagt Ederer. „Sie nennen es Katholische Reformation.“ Das Konzil von Trient, das 1563 endete, verbot zwar den Ablasshandel, erlaubte aber Reliquien ebenso wie Heiligenbilder. Kirchenschmuck war in der Gegenreformation nicht nur erlaubt, sondern gewünscht.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), den das Kloster gut überstanden hatte, begann die Barockisierung der Stiftskirche St. Marien. Neuzelle wurde zum „Musterkloster“. Geradezu pompös wurde es im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts ausgeschmückt. Engel, Heilige, Marienfiguren, kaum sind sie zu zählen. Jeder Besucher, der die Kirche besucht, ist heute überwältigt angesichts der überbordenden Pracht. Auf dem Weg zum Hauptaltar schreitet man 13 Nebenaltäre ab. Das Barockwunder von Brandenburg, wie es oft apostrophiert wird, überdauerte auch die Krise im 19. Jahrhundert. Nach dem Wiener Kongress 1815 fiel Neuzelle an Preußen. Nur zwei Jahre später hob König Friedrich Wilhelm IV . das Kloster auf und überführte den Besitz an das preußisch-staatliche Stift Neuzelle. Die Gebäude allerdings blieben unversehrt – und bildeten den Schauplatz für unterschiedliche Facetten der deutschen Geschichte. Im April 1937 etwa predigte Pfarrer Niemöller in der evangelischen Kirche zum Heiligen Kreuz, drei Monate später wurde er von den Nazis festgenommen und nach Sachsenhausen gebracht.
Im April 1945 standen die Russen an der Oder. Die deutschen Soldaten am anderen Ufer zogen kampflos ab – und widersetzten sich auch dem „Nerobefehl“ Hitlers, nach dem den Feinden nur „verbrannte Erde“ hinterlassen werden sollte. Am 1. Mai 1945 konnte in der Stiftskirche die erste Andacht gefeiert werden.
„Zu DDR-Zeiten kamen rund 2000 Menschen zur Fronleichnamsprozession“, weiß Walter Ederer. „Die Teilnahme gehörte wohl zur Form des inneren Widerstands.“ Die Kirche allerdings war nur zu Gottesdiensten geöffnet, Tourismus gab es nicht. Das Barockjuwel lag im Dornröschenschlaf. Der Klostergarten, 1760 im französischen Stil angelegt, verkam. Die Spiegelteiche wurden zugeschüttet, statt gepflegter Pflanzen und gestutzter Hecken machte sich Wildwuchs breit. „Die Struktur des Gartens war praktisch nicht mehr zu erkennen“, sagt Ederer.
Nun ist alles wieder in Form. Es ist eine Freude, durch den Garten zu spazieren und weit über die Oderlandschaft zu schauen. Sogar der alte Weinberg wurde wiederbelebt. Mehr als 400 Rebstöcke wachsen hier mit Sorten wie Goldriesling, Frühburgunder oder Muskat. So viel ist zu bestaunen auf dem Klostergelände. In den Kutschstall ist das Museum „Himmlisches Theater“ eingezogen. Hier werden die einzigartigen Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab gezeigt – ein monumentales barockes Kulissentheater. Auf bis zu sechs Meter hohen Holztafeln hatte man das Leben, Sterben und die Auferstehung Jesu bildlich festgehalten. Der Schatz lag unter Schutt begraben – und konnte, wieder wie durch ein Wunder, gerettet werden.
Die Kirche zum Heiligen Kreuz wird von etlichen Besuchern links liegen gelassen. Ein Fehler. Diese „Leutekirche“ war fürs Volk gebaut worden, während die Stiftskirche St. Marien den Mönchen vorbehalten war. Auch dieses Gotteshaus schwelgt in Barock. 128 Quadratmeter misst das Fresko in der Kuppel, das die gegenreformatorischen Ideen aufnahm und die Gläubigen im wahrsten Sinne des Wortes in den Himmel schauen ließ.
Neuzelle lockt Touristen. „Leider reicht ein Tag für die Klosterbesichtigung“, bedauert eine Mitarbeiterin in der Touristeninformation. Man hätte die Besucher gern länger am Ort. Alles ist bereitet. Es gibt zwei gute Hotels, etliche Lokale und aussichtsreiche Spazierwege. Mit dem Rad, sogar E-Bikes kann man ausleihen, ist es nicht weit bis nach Ratzdorf an der Oder. Wir begegneten dort zwei Rangern der Naturwacht, die Ferngläser in der Hand. „Vor ein paar Minuten sind hier 80 Rotdrosseln vorbeigeflogen“, berichtet einer und beteuert: „Hier gibt es immer viel zu sehen.“ Die stille Landschaft – ein Traum.
Luther war nie hier. Ach, wüsste der Reformator, was er da verpasst hat. Auch ein Stück Ökomene: Im nächsten Jahr, zum 750-jährigen Klosterjubiläum, soll das Kloster auch wieder eine katholische geistliche Gemeinschaft bekommen. Acht Mönche des Zisterzienserordens wollen dort leben. Für sie ist es eine Wiederbesiedlung.
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