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Potsdam-Mittelmark: Ya steklom

Big Brother

Stand:

Big Brother Darf man totalitäre Regime auch mal niedlich finden? Günter Nooke von der CDU sähe die deutschen Ostalgie-Shows am liebsten im Schwarzbuch der Fernsehgeschichte. Sein Argument: Es habe ja auch keine Dritte-Reich-Shows gegeben. Stop, möchte man Herrn Nooke zurufen. Wenn man den Bogen schon ideologiekritisch überspannt, sollte man sich fragen, ob eine solche Show im heutigen Russland möglich wäre. Aber eine massenkompatible Show könnte sich in Russland weder vordergründig ironisch noch offen nostalgisch gebärden, weil große Teile der Bevölkerung die Verballhornung sowjetischer Errungenschaften nicht goutieren, während andere deren Verklärung übel nehmen. Vor zwei Jahren brachte der Sender TV-6 mit „Sa steklom“ (Hinter Glas) die erste russische Adaption des Big-Brother-Konzepts – mit immensem Quotenerfolg. Man muss sich vor Augen halten, welche Assoziationen in Russland die Vorstellung einer komplett kameraüberwachten Wohnung auslöst. Auf das Schlagwort „Big Brother“ wurde deshalb verzichtet, stattdessen verlieh man der Sendung mit dem Titel „Hinter Glas“ eine Wendung ins Positive. Während die Kreml-Mauern kein bisschen transparenter wurden, durften die Zuschauer von „Hinter Glas“ wöchentlich den unsympathischsten Teilnehmer aus der Show herausschmeißen, was einer kompletten Umkehr der sowjetischen Verhältnisse gleich kam: Das Volk selbst durfte sich nun in die Rolle des Ý KGB begeben, durfte alle überwachen und jede Woche einen liquidieren. Selbst eine Urheberrechts-Klage der niederländischen Produktionsfirma Endemol, die die erste Big-Brother-Version produzierte, konnte den Erfolg von „Sa steklom“ nicht bremsen. Die Macher von TW-6 behaupteten, das Konzept verdanke man nicht den Holländern, sondern dem russischen Autor Jewgenij Samjatin, der in den 20er Jahren in seinem Roman „Wir“ ein ähnliches Szenario entworfen habe. Jens Mühling

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