zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Zwischen Kohlen und Polen

Der Tagebau, der Horno frisst, lässt Grießen rechts liegen – auf einem 800 Meter breiten Streifen zwischen den Baggern und der Neiße-Grenze. Edeltraud und Heinz Müller wären lieber umgesiedelt, als mit Staub und Lärm zu

Der Tagebau, der Horno frisst, lässt Grießen rechts liegen – auf einem 800 Meter breiten Streifen zwischen den Baggern und der Neiße-Grenze. Edeltraud und Heinz Müller wären lieber umgesiedelt, als mit Staub und Lärm zu leben. Sie kennen die Braunkohle, sie war mal ihr Leben. Von Guido Berg Grießen. Die Müllers sind eher kleine Leute, so um die 1,65 Meter. Wie sie so dastehen, neben einem hüfthohen deutschen Schäferhund aus Keramik – Heinz Müller hat sich für das Foto noch schnell eine saubere Hose angezogen, Edeltraud Müller sich einen neuen Pullover – könnte man auf den Einfall kommen, sie zu unterschätzen. Dabei haben Müllers etwas bewegt im Leben – ein paar Millionen Tonnen vielleicht, Abraum und Kohle. Beide knüppelten viele Jahre im und für den Tagebau. „Kohle war mal das Leben“, sagt Edeltraut Müller. Doch jetzt sei sie „stinkig“, weil ihr der Tagebau bald selbst auf den Pelz rückt. 300 Millionen Tonnen förderte die DDR pro Jahr und ohne die Müllers wäre es vielleicht auch mal etwas weniger gewesen. Heinz Müller bediente eine Schienenrückmaschine, gebaut im Lauchhammerwerk, Kostenpunkt: fast eine Million Mark. Edeltraud Müller weiß das so genau, weil sie im Investitionslager arbeitete. Von dort wurden die Tagebaugeräte ausgeliefert. Kohlezüge laufen auf Schienen, Bagger auch. Rückt der Tagebau in die Landschaft vor, müssen die Schienen mit. Und wenn das ’mal schief ging? Dann war die „Kacke am Dampfen“, die Kohleförderung und damit die Energieversorgung gefährdet, dann war vielleicht gerade ein Zug entgleist, möglich, dass wieder eine dieser russischen Schienen bei kurz über Null Grad spröde wurde wie Glas und brach. Sicher stieg Heinz Müller da in Grießen gerade aus dem Bus, freute sich auf den Feierabend – und sah vor seinem Haus schon den Jeep, der ihn wieder zurück bringen wird. „Mensch Heinz, gut dass du kommst, wir müssen gleich wieder “ Nun, das war einmal. Jetzt haben die Müllers ihr Auskommen mit einer kleinen Zimmervermietung, für Oder-Neiße- Radler, Bundesgrenzschützer, Arbeiter vom Kraftwerk. Trotzdem: „Man war eben wer .“ Darum hat er auch noch ein wenig Verständnis für den näher rückenden Tagebau. Heinz Müller lässt zwei Stücken Zucker in den Kaffee plumpsen und nimmt sich einen Keks. Edeltraut Müller hätte ja auch Kuchen gekauft, aber sie wollten Diät halten, ihr Mann hat schon etliche Operationen hinter sich, zuletzt bekam er ein künstliches Kniegelenk. Trotzdem: „Das wird ganz schön hart hier zu leben, mit dem Staub und dem Lärm“. Und was ist erst mit dem Tourismus, wenn so gut wie vor der Haustür der Tagebau beginnt? „Wer kommt denn dann noch?“ Mit dem Zeigefinger deutet Edeltraud Müller eine Luftlinie an – durchs Fenster über den Hof, über die Straße, die dagegenüberliegenden Häuser, die LPG, die jetzt „Bauern AG“ heißt und den Wald. In zwei bis drei Jahren wird sich dort, 500 Meter vom Küchentisch der Müllers entfernt, der Tagebau Jänschwalde auftun, ein 80 Meter tiefer Abgrund, eine Tiefebene aus märkischem Sand. Aber das ist noch nicht alles. Die streitbereite Frau deutet mit dem Daumen über die Schulter nach hinten, 300 Meter, da fließt die Neiße, da beginnt Polen. Eingezwängt auf einem 800 Meter breiten Bergkamm, „zwischen Polen und Kohlen“, wie es der im Brandenburgischen lebende Dramatiker Thilo Reffert ausdrückt, werden die 223 Grießener über viele Jahre leben. Müssen. Denn im Gegensatz zum sich dagegen sträubenden Horno ist für Grießen keine Umsiedlung vorgesehen, auch keine Entschädigung. Von der Lausitzer Braunkohlen AG gab es mal Pflanzen für die Dorfbegrünung, von denen sind viele aber wieder eingegangen. „Eine Nachbegrünung“, sagt Edeltraud Müller, die auch Gemeindevertreterin ist, „hat nicht geklappt.“ Sie sagt das mit echtem Bedauern, neues Grünzeug für das Dorf, das würde ihr schon gefallen. Fürs Erste. Schon die Großeltern von Edeltraud Müller haben in Grießen gewohnt, auf dem Grundstück an der Dorfstraße. Sie selbst ist dort geboren. Nur das Haus stand früher vorn quer, war aus Lehm und wurde abgerissen. Die Holzveranda steht noch und dient jetzt als Gartenlaube. Die Müllers haben neu gebaut, auf dem hinteren Grundstücksteil und längs zur Straße. Wobei neu gebaut nicht stimmt, sie hatten nur ein Kind, einen Sohn und durften zu DDR-Zeiten nicht neu bauen, nur ausbauen, was schon dasteht. Dastanden Stall und Scheune. Eine Mauer, hatte der Funktionär damals gesagt, muss er wenigstens übernehmen, erzählt Heinz Müller grinsend. Und wenn die beim Bau auch noch umfällt und ersetzt werden muss, könne man es eben auch nicht ändern. Vieles hat der gelernte Maurer selbst machen können. Das ging auf den Rücken, erst die Schicht im Tagebau, dann die zu Hause. Entstanden ist mit den Jahren ein Bandscheibenschaden und ein richtiger Gebäudekomplex: Rechts das eigene Wohnhaus, in der Mitte die Scheune mit großen hölzernen Schiebetoren und links die Ferienquartiere, „drei Schlafräume mit insgesamt acht Betten, ein Clubraum, eine Küche, zwei Bäder, zwei Duschen, zwei Toiletten.“ Über allem prangt ein blinkendes Nachwende-Dach aus dunklen massiven Ziegeln. Sieht langlebig, robust und teuer aus. Heinz Müller zerrt am Scheunentor und deutet an, so soll es nicht bleiben, hier kommt auch noch Wohnfläche rein. Viele Grießener haben so gelebt, hier geboren, hier gearbeitet, hier gebaut. Gebaut in der Regel immerzu: Erst nach Vorwende-Standard, dann musste es Nachwende-Standard sein, bei Küche, Bad und Heizung. Müllers heizen mit Holz und natürlich mit Kohle. Das mit den Briketts geht aber zu Ende, bei einer Führung durch das Industriegebiet Schwarze Pumpe ist mehrmals zu hören, die Brikettfabrik stehe „noch“ da. Öl oder Gas ist in den Eigenheimen jetzt Usus. Müllers machen aber immer noch Holz, im eigenen Wald, zehn Hektar Privatwald, zu DDR-Zeit gab’s das nicht oft. Doch der Wald wird bald vom Tagebau gefressen. Spätestens dann muss eine neue Heizung her, das ganze Brennmaterial für die jetzige Heizung kaufen wird teuer. Auf einer Messe in Cottbus haben sie sich in eine Heizung verguckt, die Pellets verbrennt, kleine runde längliche Briketts, nur eben aus Holzresten gepresst. Doch das kostet und deshalb wollen die Müllers eine Entschädigung, für den verloren gehenden Wald („er hätte unser Leben lang gereicht“) und für die neue Heizung. Und sie wollen staubundurchlässige Fenster. Beide kommen aus der Kohle und wissen, ein Tagebau, das ist wenig Kohle und viel Sand. Der Wind treibt ihn über Kilometer ins Land, er dringt überall hindurch, er knirscht zwischen den Zähnen. „In Grötsch“, sagt Edeltraud Müller, „das sie zur Hälfte abgerissen haben, da bekamen sie auch neue Fenster und Türen.“ Genau wie in Heinersbrück. Aber das war noch zu DDR-Zeiten. „Wir haben die Fenster im Lager da gehabt“, erinnert sie sich. Mit Gummischutzlippen gegen den Staub. Solche will sie nun auch für sich. Eine Umsiedlung wie es jetzt mit den Hornoern geschieht, kam für die Grießener nicht infrage. Für die Hornoer jahrelang ja auch nicht. „Wir haben mit den Hornoern mitgekämpft“, erklärt Edeltraud Müller. „Denn wenn man ein klein bisschen logisch denkt, dem wird klar, dass auch wir beeinträchtigt werden.“ Dabei hätte man dem Bagger vor Jahren nur einen klein bisschen anderen Schwenkbereich zuweisen müssen, Grießen wäre verschont gewesen und Horno vielleicht auch. Für die Mutter von Edeltraud Müller wäre das besser gewesen, sie wohnt in Horno. Dahin hatte sie ziehen müssen, weil das Grundstück in Grießen in den ersten Jahren der DDR enteignet worden war, zugunsten eines Parteifunktionärs. Erst 1960 bekam die Familie ihren Grund und Boden in Grießen zurück. Die jungen Müllers zogen dort ein, die Mutter blieb in Horno. Dieser Tage wird sie nach Peitz umgesiedelt, in ein neues Haus. „Also Muttern fällt''s sehr sehr schwer“, sagt Edeltraud Müller. Aber ihre Schwester ist ganz glücklich. Sie zieht mit nach Peitz. Freilich musste sie Geld dazugeben, dafür ist das neue Haus auch „ganz gut geworden, nicht zu verachten“. Da sagt Edeltraud Müller einen Satz, den sie gern wiederholt: „Bei gleichen Bedingungen wie für Horno wären wir auch umgezogen.“ Neu Horno in Forst, wohin die meisten Hornoer umsiedeln, macht einen guten Eindruck, große Häuser, viele unterschiedliche Typen, kein Ghetto-, kein Baracken-Stil, wenn auch Vattenfall das Gelände noch mit einer Schranke nebst Wärter vor Neugierigen abriegelt. Das neue Gemeindezentrum verfügt über einen Saal mit 200 Plätzen, einen Multifunktionsraum, einen Jugendclub, eine Bowlinganlage und eine Gaststätte. „Die Hornoer haben sich teuer verkauft“, sagt Edeltraud Müller. Das würde sie auch gern tun, doch es fehlt das Angebot. Ein Ausgleichs-Angebot. Einen Ausgleich dafür, dass Edeltraut Müller mit dem Tagebauloch vor der Tür 50 Kilometer mehr fahren muss, um nach Cottbus zu gelangen. Ihre Versicherung sitzt in Cottbus. Einen Ausgleich aber auch dafür, dass die Müllers den Wald verlieren werden und deshalb eine neue Heizung brauchen. Dass Staub und Dreck aus dem Tagebau sich wie ein Film auf die Fensterbank legen wird. Und natürlich einen Ausgleich für das defizitäre Übernachtungsgeschäft. Denn Geld bringen Edeltraut Müller vor allem die bei ihr wohnenden Arbeiter vom Kraftwerk. Doch der Tagebau, er frisst sich genau hindurch zwischen Kraftwerk und den Müllerschen Quartieren. „Sowie die Straße zwischen Heinersbrück und Horno gekappt wird, rechnet es sich nicht mehr.“ Zwar bringt der Oder-Neiße-Radweg Gäste – aber meist nur im Sommer und auch nur für eine Nacht: „Viel Arbeit, wenig Gewinn“. „Nie“, ergänzt Heinz Müller und langt mit seinen starken Händen nach den Keksen, „nie hätten wir gedacht, dass wir selbst mal in die Lage kommen.“ Früher, bei Senftenberg, da sei der Schnee schwarz gewesen von der Kohle und niemand hat Wäsche trocknen können auf dem Balkon. „Hier möchten wir nicht tot sein“ habe er so für sich gedacht. Sieben, acht junge Familien mit Kindern sind noch in den letzten Jahren nach Grießen gezogen – freilich „bevor das mit der Kohle publik wurde“, sagt Edeltraud Müller und gießt Kaffee nach. „Die haben das was kommt zu spät erkannt“. Was aber auch sein Gutes hat, „sonst müssen wir Alten hier noch das Licht ausschalten“. Früher gab die Braunkohle Lohn und Brot für 25 000 Lausitzer, heute für 4000. „Wobei“, so Edeltraud Müller, „einer aus Grießen hat jetzt anfangen können in der Kohle, als Lehrling.“ Ihr Sohn, Gleisrückmaschinen-Fahrer wie ihr Mann, hatte vor Jahren einen Arbeitsunfall und musste umschulen. Jetzt wohnt er in Stuttgart und hat sich dort gut eingelebt. „Obwohl das schwierig ist bei den Schwaben. Nach der Arbeitszeit schließen sich dort die Türen und Fenster.“ Alle 14 Tage drei Wochen kommt Müllers Sohn zum Wochenendbesuch nach Hause. Die Visitenkarte von Peter Fromm weist ihn als Leiter der Externen Kommunikation bei Vattenfall Europe Mining & Generation aus. Der Pressesprecher des drittgrößten deutsche Stromkonzerns zeigt sich irritiert: Warum die Grießener sich nicht an sein Unternehmen wenden, wenn es Probleme gibt und wie denn der Kontakt zur Presse überhaupt zustande kam Aber Peter Fromm fängt sich schnell, man sei mit allen Tagebau-Randgemeinden im Gespräch, um „Auswirkungen auszugleichen“. Auch mit Grießen. Das Dorf ist zwar nicht so berühmt wie Horno, dafür vor Gericht erfolgreicher. Dass Grießen mit der Kohle im Clinsch liegt, muss dem Vattenfall-Sprecher bekannt sein. Im Jahr 2000 hatte das Brandenburger Landesverfassungsgericht einer Beschwerde Grießens gegen eine Teilabbaggerung durch die Lausitzer Braunkohle AG (Laubag – gehört heute zu Vattenfall) stattgegeben. Es handele sich dabei um einen schwerwiegenden Eingriff in die Selbstverwaltung. Die dem Braunkohleplan zugrunde liegende Landesverordnung sei verfassungswidrig, entschied das Gericht damals. Aber der Gerichtserfolg war nur ein Pyrrhussieg für das Dorf an der Neiße: „Ende 2002 wurde ein neuer Braunkohleplan erlassen“, der die Grießener auch nicht besser stellt. Der dies sagt ist Klaus Richter, Leiter des zuständigen Amtes Jänschwalde. Und was Klaus Richter noch ist, sagt viel über Klaus Richter: Ur-Hornoer, künftiger Neu-Hornoer, Ex-Kraftwerks-Arbeiter, seit kurzem Träger des Ehrenabzeichen der Domowina, der politischen Vertretung der Sorben. Klaus Richter zieht nach all den kräfte-zehrenden Auseinandersetzungen für und gegen die Kohle, für und gegen die Umsiedlung Hornos, sein Fazit: „Es muss das Beste aus der Situation gemacht werden.“ Für Horno ist es das Überleben des dörfliche Zusammenhalts in Neu Horno, für Grießen könne es ein verstärkter Schallschutz sein. Das ist wenig genug. Klaus Richter sieht durch die Tagebau-Randlage das Gemeinschaftsleben in Grießen gefährdet, es sei künftig weder mit Zuzug noch mit Baugeschehen zu rechnen. Grundstücke verödeten, schlecht sei dies für das Erscheinungsbild des Ortes. Edeltraud Müller quält sich mit einem weiteren Szenario: Sie hat Angst, die Erde unter ihren Füßen könnte in Bewegung geraten. Vattenfall-Sprecher Fromm führt dagegen diverse Standsicherheitsberechnungen und die Prüfung der Böschungsneigung durch das Bergamt ins Feld. „Wenn aber“, überlegt Edeltraud Müller, „es vom Tagebaurand 80 Meter tief hinab geht, dann wird man doch die Gefahr eines möglichen Erdrutsches ansprechen dürfen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false