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Videoinstallation von Michel Majerus aus dem Jahr 2000, aufgebaut im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.)

© © Michel Majerus Estate, 2022. Courtesy neugerriemschneider, Berlin, n.b.k. / Jens Ziehe

Puzzle des Lebens: Was Michel Majerus unsterblich macht

Zum 20. Todestag von Michel Majerus finden diverse Ausstellungen statt. Der Neue Berliner Kunstverein gibt eine Ahnung von der Bedeutung des Berliner Künstlers.

Die Fotografie aus dem Sommer 2002 ist so klein, dass man sie im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) schnell übersieht. Sie zeigt einen seltsamen Zwitter: Die beiden seitlichen Säulenhäuser des Brandenburger Tores säumen ein Gebäude aus dem Schöneberger Norden, das bis heute gern „Sozialpalast“ genannt wird. Über dem Dach schwebt weithin sichtbar die Quadriga.

Wie konnte es damals so weit kommen? Dass einem jungen, in Berlin lebenden Künstler direkt am Pariser Platz diese prominente Fläche zur Verfügung stand. Dass er ein Werk von der Dimension eines Hochhauses scheinbar mühelos realisieren konnte. Michel Majerus ließ auf das Riesenplakat, hinter dem das Brandenburger Tor saniert wurde, eine Abbildung des mächtigen Wohnblocks mit seinen typischen Satellitenschüsseln reproduzieren.

Man wüsste gern von ihm, was er sich dabei gedacht hat. „Sozialpalast“ war jedoch eine seiner letzten Arbeiten, die Folie hing bis Ende September. Kurz danach, am 6. November, stürzte die Fokker 50 ab, die ihn auf einem Linienflug Berlin-Luxemburg nach Hause bringen sollte – da war Majerus Mitte dreißig.

Kissen mit pornografischen Motiven

Die fotografische Erinnerung im n.b.k. gehört zur jüngsten Ausstellung rund um den 20. Todestag des Künstlers. Das KW Institute of Contemporary Art in Berlin-Mitte präsentiert schon seit Oktober frühe Werke, unweit der Institution rekonstruiert die Galerie Neugerriemschneider Majerus‘ erste Soloschau in ihrem damals noch kleinen Raum.

In Luxemburg ist er das ganze Jahr präsent, dazu gibt es Projekte im Hamburger Kunstverein und im Michel Majerus Estate, seinem ehemaligen Atelier in Prenzlauer Berg. Gleich nach dem Studium an der Kunstakademie Stuttgart zog der Künstler 1992 nach Berlin – und bei allen, die ihn aus jener Zeit kennen, hat er einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Mit Galerist Tim Neuger diskutierte er schon in Stuttgart über seine Arbeiten. Auf dem Sofa der Berliner Sammlerin Manuela Alexejew liegen Kissen, die sie eigentlich verschenken wollte. Majerus verstand seinen gestalterischen Auftrag allerdings gezielt falsch und lieferte pornografische Inhalte. Alexejew behielt die Accessoires dann doch lieber für sich. In ihrem großzügigen Loft hängt auch ein spätes Gemälde der Serie „Splash Bombs“, die anderen bombigen Bilder gingen an die Neue Nationalgalerie oder das MoMA in New York.

Eine Halfpipe für Skater im Kunstverein

Im Kanon ist Majerus also schnell angekommen. Obwohl oder gerade weil seine Malerei genau wie die teils monumentalen Installationen – die Halfpipe etwa im Kölnischen Kunstverein – als Fieberkurve ihrer Zeit fungieren. Die Sujets sind neongrell, Zeitgeist pur und interventionistisch, sie verlassen den cleanen Kunstraum und erkunden die Welt der Skater ebenso wie die von Super Mario mitsamt ihrer Sprache und Schriftbilder.

Majerus war auch ein Gamer, der ebenso besessen spielte, wie er im Atelier arbeitet. Er war belesen, hatte Vorbilder wie den amerikanischen Maler Willem de Kooning, dessen abstrakte Pinselschwünge er dann aber skrupellos mit Comic-Strips kombinierte. Mix, Remix und die Verbindung von high und low, wie sie schon Warhol praktizierte.

Majerus aber nutze das Instrumentarium seiner Generation, das repräsentative Brandenburger Tor schloss er mit einem sozialen Brennpunkt kurz. Und mittendrin, als rastlose Konstante, der Künstler selbst.

Es ist diese Authentizität, die sein Werk mühelos durch die Jahrzehnte trägt. Majerus ließ ausschließlich in seinen malerischen Kosmos, was ihn in der realen oder auch digitalen Welt interessierte. Als die Galerie Neugerriemschneider 1994 die erste kommerzielle Ausstellung mit ihm vorbereitet, wollte Majerus im Innenraum grauen Asphalt.

Dass die beiden Galeristen die Bodenfliesen der alten Metzgerei gerade frisch aufarbeiten hatten lassen? Egal. Die Rezession von 1993 war ebenfalls noch nicht vorbei, der Markt wollte kleine, preiswerte Bilder. Majerus lieferte stattdessen eine Ausstellung mit All-over-Paintings: Wenn schon verkäuflich, dann bitte im Ganzen als Wand statt Malerei scheibchenweise.

Seine Kunst ist selbstbewusst und antizyklisch. Beides macht sie zeitlos. Auch wenn die Motive – Sneakers, Kassettentapes und die Actionfiguren der PC-Spiele – längst Vergangenheit sind.

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